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Viele Sitze bleiben leer. Präsident Donald Trump bei der Rally in Tulsa, Oklahoma.
© Nicholas Kamm / AFP

Trump vor halbleeren Rängen in Tulsa: Corona war schuld, nicht K-Pop und Tiktok

Wunsch und Wirklichkeit: Warum viel weniger Menschen zur „Comeback“-Rally des Präsidenten in Oklahoma kamen als erwartet. Eine Analyse.

Die Schadenfreude ist groß: Donald Trump spricht bei seiner ersten großen Rally nach Corona vor halbleeren Rängen in Tulsa, Oklahoma. Und dann folgt eine Erklärung, die viele mit offenen Ohren und Augen konsumierten, weil die Moral von der Geschicht‘ so hübsch klingt: „Internet-Kids“ haben ihm die Show vermasselt.

Über ihre sozialen Netzwerke haben die jungen Leute der Trump-Kampagne angeblich ein großes Interesse an Eintrittskarten vorgegaukelt – und sind dann einfach nicht erschienen. Die Ränge blieben leer.

K-Pop-Fans und Tiktok als Helden des Tages.

Ja, wenn es denn so einfach wäre, Trump und sein Team zu überlisten und bloß zu stellen. Doch dann stellt sich die Frage: warum erst jetzt? Warum hat die findige Generation Internet nicht früher solch simple Methoden ausprobiert?

Manche Geschichten sind vielleicht doch zu schön, um wahr zu sein.

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In der Realität spielen Angst und Vorsicht wegen Corona wohl doch eine größere Rolle, als Trump wahrhaben wollte. Die Psychologie von Wunsch und Wirklichkeit ist ein Bereich, in dem die Verbreiter der Tiktok- und K-Pop-Heldensaga womöglich mehr mit Trump gemeinsam haben, als ihnen lieb ist. Bei ihnen wie beim ihm ist der Wunsch Vater des Gedankens.

Enges Netz an Zulassungskontrollen

Trump und sein Team hatten bereits im Wahlkampf 2016 darauf geachtet, dass sie möglichst genau wissen, wer zu seinen Auftritten kommt. Sie wollten einerseits Provokationen durch Störer verhindern. Und andererseits Informationen über seine Fans für eine optimale Wahlkampfführung sammeln: Name, Alter sowie Handynummer und Adresse. Dann können sie gezielt seine Wahlwerbung verschicken. Und ihre Datenbasis verbessern, wo in den USA er stark und wo er schwach ist.

Wer Trump sehen und hören will, kann nicht unangemeldet zu einer Rally kommen. Einlass erhalten nur die, die ein Ticket haben. Um es zu bekommen, muss man sich mit Name, Postleitzahl und amerikanischer Mobilnummer auf der Webseite seiner Kampagne anmelden. Ausdrucken kann man das Einlassticket erst, wenn man einen Bestätigungscode eingibt, den Trumps Team auf das angegebene US-Handy simst.

Die hübsche Story ist wenig glaubwürdig

Diese Datensammlung, wer zu Trumps Fans zählt – und damit auch: wer nicht -, wer der Kampagne Geld gespendet hat, hat sein Team über die vergangenen fünf Jahre verfeinert. Es kennt Trumps Klientel. Es kennt auch seine Gegner. Wenn man das einkalkuliert, wie glaubhaft ist es dann, dass junge Leute, die sich über ihre sozialen Netzwerke verabreden, sich massenhaft für die Rally in Oklahoma anzumelden, dieses System in die Irre führen?  

Sie haben versucht, sich anzumelden, kamen aber, sofern sie falsche Mobilnummern angaben, über die erste Registrierung nicht hinaus. Trumps Kampagne sagt, sie habe Zehntausende Anmeldungen wegen fingierter Mobilnummern aussortiert.

Man sollte Trump und seine Leute nicht für dumm verkaufen. Die Massenanmeldung ist das Eine. Die No-Show-Quote bei den vom Trump-Team zugelassenen – also überprüften – Inhabern von Tickets ist das Andere. Es sind zwei getrennte Phänomene. Es besteht freilich eine Wechselwirkung zwischen ihnen. Und die hat mit Trumps Eitelkeit zu tun. Sowie der Neigung seiner Mitarbeiter, diese zu bedienen.

Trump schürt unbedacht die Angst vor Ansteckung

Trump liebt, erstens, volle Mehrzweckhallen und Arenen. Zweitens schmeichelt es seinem Ego, wenn viel mehr Leute erwartet werden, als eingelassen werden können. Auch damit generiert er Schlagzeilen. Trump hoffte auf eine volle Arena. Plus weiteren Menschenmassen bei „Overflow“-Sammelplätzen in der Umgebung.

Entnervt mit offenem Hemd und ungebundemem Schlips: Donald Trump auf der Rückreise.
Entnervt mit offenem Hemd und ungebundemem Schlips: Donald Trump auf der Rückreise.
© Leah Millis/REUTERS

Trumps Vertrauen, dass seine treuen Anhänger das Risiko der Ansteckung mit Corona in dieser Lage komplett ignorieren, war überzogen. Er hat zudem wohl dazu beigetragen, dass viele, die sich angemeldet hatten, am Ende nicht erschienen sind, als er verbreitete, er rechne mit einer Million Menschen. Es ist eine Sache, sich in Corona-Zeiten mit 19.000 individuell zugelassenen Trump-Fans in eine Arena zu setzen – Menschen, die im Zweifel aus ländlichen Gebieten Oklahomas sowie der Nachbarstaaten in den Great Plaines stammen, wo es wenig Infizierte gibt. Und die mit dem Auto anreisen.

Es ist eine andere Sache, sich vorzustellen, dass man einer Million Amerikanern begegnet, die angeblich aus dem halben Land kommen, also per Flugzeug, wo man längere Zeit eng zusammensitzt. Und die dann wohl auch aus Ballungszentren stammen, wo die Quote der Infizierten generell viel höher ist. Trump hatte jeden Interessen bei der Anmeldung vor der Rally unterschreiben lassen: Teilnahme auf eigene Gefahr.

Muss Wahlkampfchef Parscale jetzt gehen?

So kam es zu dem für Trump enttäuschenden Wochenende in Oklahoma: Keine Zwischenstopps auf dem Weg zur Arena an den „Overflow“-Sammelstellen. Und der eigentliche Auftritt in einer Mehrzweckhalle, in der viele Ränge leer blieben.

Auf der Rückreise nach Washington entstehen unvorteilhafte Bilder: Trump entnervt, mit offenem Hemd und ungebundenem Schlipps um den Hals.

Gut möglich, dass Trump jetzt einen Sündenbock braucht. Zum Beispiel seinen Kampagnenchef Brad Parscale. Und es dürfte die Anweisung geben, nicht nur bei den Empfängern von Eintrittskarten so gut wie möglich zu sieben. Sondern auch die weit größere Gruppe derer, die Interesse anmelden, genauer daraufhin zu überprüfen, was davon „Fake“ ist.

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