Marine Le Pen: Comeback mit Fragezeichen
Marine Le Pen, die Chefin von Frankreichs Front National, ist angeschlagen. Aber sie will sich nicht von der Parteispitze verdrängen lassen.
Wochenlang war es still um Marine Le Pen. Als das französische Parlament im August Überstunden machte und ein Gesetz gegen die Scheinbeschäftigung von Angehörigen der Parlamentarier beschloss, fehlte die 49-Jährige wegen Rückenproblemen, wie sie jüngst in einem TV-Interview erklärte. Doch am Samstag meldete sich die Chefin des rechtsextremen Front National (FN) im Dorf Brachay im Nordosten Frankreichs pünktlich zum Ende der Sommerpause mit einer 45-minütigen Rede zurück. „Der Front National ist Frankreichs einziger Hoffnungsschimmer“, rief sie in die Menge.
Vor der Bühne hatten einige der 500 Anhänger Regenschirme aufgespannt. Das trübe Wetter passte zur Stimmung im Front National, wo die Aufarbeitung der Niederlagen bei den zurückliegenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen immer noch andauert. Zwar hatte die Partei in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl im Mai mit mehr als 10,6 Millionen Stimmen ein Rekordergebnis erzielt. Allerdings war der FN weit hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben, was auch parteiintern vor allem auf den schwachen Auftritt von Marine Le Pen im entscheidenden TV-Duell gegen Emmanuel Macron zurückgeführt wurde. Nach der Wahl Macrons zum Präsidenten folgte dann bei den Parlamentswahlen im Juni die nächste Schlappe für den Front National. Dabei kam der FN nur auf acht Sitze – zu wenig, um eine Fraktion zu bilden.
Attacken auf Macron, Merkel und Mélenchon
Bei ihrer Rede in Brachay versuchte Le Pen, nun wieder Boden gutzumachen. Dabei fehlten weder heftige Angriffe auf Macron, den sie als Vertreter der „herrschenden Klasse“ aufs Korn nahm, noch eine Kampfansage an Angela Merkel. „Ich gestehe Ihnen nicht das Recht zu, uns Ihre Migranten aufzuzwingen“, sagte Le Pen mit Blick auf die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin und die Diskussion um eine Umverteilung der Schutzsuchenden in der EU. Besonders scharf ging sie mit Jean-Luc Mélenchon ins Gericht. Der Grund: Während der medialen Sendepause von Le Pen in den vergangenen Wochen war es der Linkspartei „Das unbeugsame Frankreich“ unter der Führung Mélenchons gelungen, sich als stärkste Kraft der Opposition zu inszenieren – eine Rolle, die der FN für sich beansprucht.
Vize Philippot beansprucht immer mehr Macht für sich
Le Pens Verbalattacken können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie als Parteichefin angeschlagen ist. Einerseits beansprucht ihr Vize Florian Philippot, der den umstrittenen Anti-Euro-Kurs während der Präsidentschaftswahl verantwortete, immer mehr Macht für sich. Auf der anderen Seite ist der rechte Flügel der Partei unzufrieden mit Le Pens Modernisierungskurs. Inzwischen hat ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen, die Galionsfigur der Erzkonservativen, zwar die Politik verlassen. Trotzdem sind laut Umfragen 58 Prozent der Franzosen der Auffassung, dass Marion Maréchal-Le Pen Wähler für den FN mobilisieren kann. Ihre Tante kommt nur auf Platz zwei mit 46 Prozent. An diesem Sonntag will sie einen Flohmarkt in Hénin-Beaumont in Nordfrankreich besuchen, eine Region, in der sie als Abgeordnete gewählt wurde. „Ein Bruch ist nötig, ein Elektroschock“, betonte Jean-Lin Lacapelle, einer ihrer Vertrauten. Sébastien Chenu, einer der acht FN-Abgeordneten, versuchte die Niederlage mit den Worten schönzureden, dass die Partei schon „die Hälfte des Weges“ zurückgelegt habe.
Doch das Problem der Partei liegt in der zweiten Hälfte der Wegstrecke. Die zurückliegenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen haben gezeigt, dass sich über dem FN eine Art „Glasdecke“ wölbt: Das Potential der Partei scheint in Frankreich an einer Grenze angekommen zu sein. Der Politikexperte Jean-Philippe Moinet glaubt, dass am Ende viele davor zurückschrecken, ihr Kreuz beim FN zu machen, wenn es darum geht, für fünf Jahre eine bindende Entscheidung für eine Partei zu treffen.
Umfragen bestätigen, dass die Partei nach der Wahl geschwächt ist. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Odoxa finden 45 Prozent der Befragten in Frankreich und 36 Prozent der FN-Wähler, dass die Situation der Partei sich verschlechtert hat. „Es muss ein Problem der Glaubwürdigkeit für den FN und Marine Le Pen gelöst werden“, betonte Céline Bracq, Generaldirektorin von Odoxa. Die Umfrage ergab, dass sich 66 Prozent der Franzosen nicht bei den wirtschaftlichen und sozialen Vorstellungen der Partei wiederfinden und 72 Prozent nicht beim Plan eines Austritts Frankreichs aus der EU.
Ein neuer Parteiname soll her
In dieser Situation sucht Le Pen nach einem Neuanfang – und nach einem neuen Namen für die Partei. Wie sie am Samstag ankündigte, soll dabei die Basis entscheiden. Entscheidend dürfte aber sein, ob sich die Vorsitzende weiter an der Spitze der Partei halten kann. Nach der Auffassung von Politikexperten bleibt ihr nur die Möglichkeit, ihre Anhänger angesichts der internen Flügelkämpfe vor die Wahl zu stellen: „Ich oder das Chaos“.