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Politik: Comandante für die Ewigkeit

Venezuelas Präsident Chávez wird einbalsamiert.

Viele mussten stehen, denn die Stühle reichten nicht aus für die ganzen Trauergäste, die zum zweistündigen Staatsbegräbnis von Hugo Chávez am Freitag nach Venezuela gereist waren. In der ersten Reihe sass Kubas Staatschef Raúl Castro; ausserdem anwesend waren die Staatschefs der Bruderländer Iran, Weissrussland und Guinea-Bissau, Mahmud Ahmadinedschad, Alexander Lukaschenko und Obiang Nguema. Mit der Nationalhymne unter Anleitung des venezolanischen Stardirigenten Gustavo Dudamel begann die Zeremonie im Ehrensaal der Militärakademie von Caracas, immer wieder unterbrochen vom Applaus der Anwesenden und Parolen wie „Chavez, mein Freund, das Volk ist mit dir“ und „Chavez lebe hoch“. Sie endete mit einer von patriotischen Aufrufen gespickten Rede des Vizepräsidenten und designierten Nachfolgers, Nicolás Maduro. „Sie sind mit dir nicht fertig geworden, sie werden niemals mit uns fertig werden“, beschwor Maduro, der seine Rede mit der sozialistischen Parole „die Schlacht geht weiter, immer bis zum Sieg“, krönte. Während des Staatsbegräbnisses beschloss der Oberste Gerichtshof, dass Maduro gleichzeitig die Amtsgeschäfte führen und als Kandidat an den anstehenden Neuwahlen teilnehmen darf. Oppositionsführer Henrique Capriles bezeichnete das Urteil als Betrug und Verfassungsbruch. Die Opposition verkündete, sie werde nicht am Freitag abend an der Sitzung des Parlaments teilnehmen, auf der Maduro offiziell zum Interims-Staatschef ernannt werden sollte. Die Regierungsfraktion habe der Opposition keine Redezeit zugestanden; ausserdem solle die Sitzung in der Militärkaserne Fuerte Tiuna stattfinden, sagte ein Sprecher des Oppositionsbündnisses. US-Bürgerrechtler Jesse Jackson rief bei seiner kurzen Ansprache zur Aussöhnung zwischen beiden Ländern auf, die historisch und wirtschaftlich eng verbunden seien. Die USA waren sonst lediglich mit dem zweiten Mann der Botschaft und zwei Kongressmitgliedern vertreten. Die diplomatischen Beziehungen der beiden Länder waren unter Chávez angespannt und wurden durch die jüngste Ausweisung zweier Militärattachés noch schlechter. Als erster durfte Kubas Staatschef Raúl Castro die Ehrenwache übernehmen. Kuba war der engste Verbündete von Chávez, dort war sein Krebs behandelt worden. Spanien schickte Kronprinz Felipe de Bourbon, Russland und China Minister; Insgesamt waren Delegationen aus 54 Ländern vertretern. Es fehlten die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff und Cristina Kirchner aus Argentinien, die beide als Sympathisanten von Chávez galten. Am Donnerstag beschloss die Regierung, den Leichnam des verstorbenen Präsidenten noch eine weitere Woche in der Militärakademie aufzubahren und anschliessend einzubalsamieren. Wie Ho Chi Minh, Mao Tse-Tung und Vladimir Lenin werde Chávez so für immer präsent bleiben, erklärte Maduro. Zuvor hatte es Forderungen aus der Bevölkerung gegeben, Chávez solle im Nationalpantheon an der Seite seines Vorbilds, des Befreiungshelden Simón Bolívar begraben werden – eine Option, die laut Parlamentspräsident Diosdado Cabello immer noch offen ist, wenn dies opportun sei. Cabello und Maduro sind die beiden starken Männer der Interimsregierung und hegen keine grossen Sympathien füreinander. Keine Angaben machten die beiden allerdings über den Termin der Neuwahlen, die innerhalb von 30 Tagen nach dem Tod des Präsidenten stattfinden müssen. Umfragen zufolge käme der von Chávez designierte Nachfolger bei Wahlen auf 46 bis 50 Prozent, der bürgerliche Oppositionsführer Henrique Capriles auf 34% bis 36%. Am Donnerstag wurden weitere Einzelheiten über die letzten Stunden des 58jährigen bekannt. „Ich will nicht sterben, lasst mich bitte nicht sterben“, waren die nach Aussagen des Chefs der Präsidialgarde, José Ornella, die Worte des krebskranken Staatschefs. „Er konnte nicht sprechen, aber ich las es von seinen Lippen“, sagte Ornella. Chávez, der einen Krebs in der Leistengegend hatte und sich im Dezember einer vierten Krebs-OP in Havanna unterzog, litt nach Aussage Ornellas sehr und konnte nach einem Luftröhrenschnitt nicht mehr reden. „Er wusste, dass er kaum Überlebenschancen hatte.“ Trotzdem hatte er sich im Oktober für eine neuerliche Amtszeit wählen lassen. Im Januar war er aber nicht einmal mehr in der Lage, de Amtseid abzulegen. Nur für das Staatsbegräbnis wurde die Militärakademie vorübergehend geschlossen. Seit Mittwoch bildeten sich vor dem Gebäude lange Schlangen der Anhänger, die sich von Chávez verabschieden wollten. Die Regierung sprach von zwei Millionen und stellte Busse für den Transport aus dem Landesinneren zur Verfügung. Die Trauernden brachten Heiligenbildchen und Kreuze mit; die fliegenden Händler hatten bereits T-Shirts mit der Aufschrift: „Chávez lebt in mir weiter“ und „Ich bin Chávez“ im Angebot. In den Armenviertel im Westen von Caracas erklärten sich die bewaffneten Anhänger des Staatschefs unterdessen kampfbereit, um die Errungenschaften der Revolution mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. „Das wird uns Blut und Tränen kosten, aber die bürgerliche Oligarchie kehrt nicht zurück“, sagte Carlos Torres vom Kollektiv La Piedrita der Nachrichtenagentur AP. Eine noch wichtigere Rolle in der Übergangsphase kommt Experten zufolge aber dem Militär zu. Die Streitkräfte werden ihre Loyalität für Maduro an gewisse Voraussetzungen binden, etwa Schutz für die von den USA auf die schwarze Liste gesetzten Narco-Generäle, sagte ein Informant der Zeitung „El Pais“.

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