18 Tage nach der US-Wahl: Clinton lässt nur halbherzig nachzählen
In Wisconsin und Michigan gab es Unregelmäßigkeiten. Die Grüne Jill Stein lässt das überprüfen. Warum zögert Clinton, die den Nutzen hätte? Ein Kommentar.
Jill Stein will es wissen. Sie hat die Neuauszählung der US-Präsidentschaftswahl in Wisconsin beantragt, nachdem es Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei der computergestützten Auszählung gab. Auch in Michigan wird der Antrag erwartet. Dabei hätte die Kandidatin der Grünen gar nichts davon, wenn das Wahlergebnis anders ausfiele.
Theoretisch kann Clinton noch Präsidentin werden
Die potenzielle Nutznießerin wäre Hillary Clinton. Wenn eine manuelle Nachzählung ergäbe, dass nicht Donald Trump der Überraschungssieger in diesen beiden, früher verlässlich demokratisch wählenden Industriestaaten an den Großen Seen war, sondern tatsächlich Hillary Clinton dort gewonnen hat, würden ihre Chancen drastisch steigen, doch noch Präsidentin zu werden. Dann wächst nämlich der Druck, auch in Pennsylvania das Ergebnis in Frage zu stellen. Und ohne die Wahlmännerstimmen aus Wisconsin, Michigan und Pennsylvania wäre Trump nicht Präsident.
Das führt zu der Frage: Warum zeigt Hillary Clinton so wenig Interesse an der Nachzählung? Lange hat sie gezögert, obwohl hunderttausende Anhängerinnen und Anhänger sie anflehten: Sie solle die Nachzählung in allen drei Staaten fordern. Die galten als ihre "Brandmauer" gegen einen Trump-Sieg. Ohne die drei hätte Trump keine Chance auf das Weiße Haus gehabt.
Am Sonnabend hat der Rechtsvertreter der Clinton-Kampagne, Marc Elias, nun erklärt, dass Clinton sich dem Nachzähl-Wunsch anschließe. Aber Wortwahl und Umstände dieser Entscheidung wirken bestenfalls halbherzig. Es gab keine Pressekonferenz, nur ein Posting. Hillary Clinton, die zentrale Figur, nahm nicht Stellung. Und was Marc Elias zu sagen hatte, klang fast wie ein Dementi der angeblichen Unterstützung für Jill Stein bei ihrer Nachzähl-Initiative: Die Clinton-Kampagne habe selbst keine Beweise für Unregelmäßigkeiten. Sie hätte von sich aus keinen "Recount" beantragt. Sie schließe sich lediglich an, weil jemand anders den Antrag gestellt habe und der Druck der eigenen Anhänger so groß sei.
Hillary glaubt nicht an den Erfolg des Einspruchs
Clinton zweifelt offenbar an den Erfolgsaussichten. Und sie fürchtet politische Angriffe, die sie als eine schlechte Verliererin brandmarken. Die Regierung Obama hat jedenfalls schon erklärt, sie halte die Hinweise auf auf Unregelmäßigkeiten nicht für ausreichend. Trumps Wahl entspreche nach ihrer Einschätzung dem Willen des amerikanischen Volkes. Ändern würde sich das Endresultat der Wahl ja nur, wenn nicht Trump, sondern sie am Ende des Revisionsprozesses auf mindestens 270 Wahlmännerstimmen käme. Dafür braucht sie eine Wende in allen drei Staaten; zwei genügen nicht.
Selbst wenn eine manuelle Nachzählung in Wisconsin und in Michigan dazu führen würde, dass sie in Wisconsin die rund 22.200 Stimmen aufholt, die ihr nach dem bisherigen Ergebnis fehlen - und in Michigan die gut 10.700, die am Montag als Trumps Vorsprung im offiziellen vorläufigen Resultat verkündet werden -, dann fehlt immer noch der schwierigste Teil. Das ist Pennsylvania.
In Pennsylvania ist Trumps Vorsprung am höchsten: mehr als 60.000 Stimmen. Und ebenso die rechtlichen Hürden. Die drei Staaten haben unterschiedliche Bestimmungen über die Fristen und die Voraussetzungen einer Anfechtung. In Pennsylvania wird die manuelle Neuauszählung zudem am schwierigsten. Noch deutlicher gesagt: Sie ist nicht möglich. Denn die Wahlcomputer dort ermöglichen zum Teil gar nicht die Papierausdrucke, die man bräuchte, um nachzuzählen.
Hat Russland Auszählungscomputer gehackt?
Die Hinweise auf mögliche Manipulationen sind bisher nur indirekter Natur. Es geht um statistische Auffälligkeiten. Aber woran lagen diese Abweichungen von der Erfahrungsnorm? Waren es wirklich Manipulationen der Wahlcomputer, womöglich durch Hacker von außerhalb der USA? Der Hauptverdacht fiele dabei auf Russland. Es war bekannt, dass Hacker auch in Wahlauszählungscomputer eingedrungen waren. Oder reichen nicht weit unschuldigere Erklärungen? 2016 war nun mal ein außergewöhnliches Wahljahr, in dem auf ganz viele Erfahrungswerte kein Verlass war.
Man könnte den Eindruck gewinnen, Amerika möchte das gar nicht laut und öffentlich diskutieren. Womöglich wäre das allzu peinlich - herauszufinden, dass die USA sich trotz Warnungen nicht davor geschützt haben, dass ihre ach so heilige, demokratische Wahl von außen manipuliert wurde. Und dass dies so leicht zu erreichen war.
Die Experten wollen das System schützen
Das Ziel der Experten, die sich um die Verlässlichkeit der auf Wahlcomputer gestützten Auszählung sorgen, ist, das System besser zu schützen. Ihnen geht es auch darum, die Praxis in Pennsylvania und manchen anderen Staaten zu stoppen, Wahlcomputer ohne "Paper Trail" (ausgedruckte Protokolle) einzusetzen, weil dann ein manuelles Nachzählen gar nicht möglich ist. Ihnen geht es also weniger um Wisconsin und Michigan.
Politisch verhält es sich andersherum. Wisconsin und Michigan stehen für Jill Stein im Vordergrund - wegen der Fristen und Bedingungen für eine Neuauszählung. Pennsylvania, wo das nur noch durch eine Klage vor Gericht zu erreichen wäre, folgt erst, wenn Wisconsin und Michigan eine rasche Aussicht auf Erfolg zeigen.