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Nie ohne Zigarette: Helmut Schmidt.
© dapd

Helmut Schmidt erklärt die Welt: China ist ein Eroberer ohne Gewalt

Der Weltpolitiker und Altbundeskanzler Helmut Schmidt spricht in Berlin über China. Was lehrt er die Deutschen?

Er sei der wohl letzte lebende Deutsche, der noch mit Mao gesprochen hat. Gleich so auratisch wird Altbundeskanzler Helmut Schmidt am Dienstagabend im Berliner Allianz-Forum am Pariser Platz vorgestellt. Da sitzt der 93-jährige Weltpolitiker in seinem nun auch schon fast weltbekannten Rollstuhl in der überfüllten mächtigen Glasrotunde – hinter sich eine riesige Plakatwand, und über seinem weißhaarigen Haupt prangt die Schlagzeile „Magnet China“.

Dieser Magnet leuchtet auf dem Plakat mindestens doppelt symbolisch, mal goldgelb, mal rot und auch ein wenig schwarz an den Hufen. Dem Magneten folgt auch die regierende Bundeskanzlerin, die gerade wieder nach Peking reist. Ob er Frau Merkel einen Rat auf den Weg geben möchte, wird ihr Vorvorvorgänger gefragt. „Nein“, lautet Helmut Schmidts Antwort ein wenig brüsk. So kurz macht er es sonst nicht, aber mit einem Anflug von Lächeln fügt er noch hinzu: „Das muss sie schon selber wissen.“

Es ist die Auftaktveranstaltung einer Dialogreihe zum soeben mit dem China Philharmonic Orchestra im Konzerthaus Berlin begonnenen „Chinesischen Kulturjahr in Deutschland“. Das Eröffnungskonzert hieß „Träume unterm Regenbogen“. Aber jetzt mit Schmidt und seinem Gesprächspartner Gu Xuewu, einem aus China stammenden Politikwissenschaftler und Direktor des Center for Global Studies an der Universität Bonn, soll es um Unverträumteres gehen: um „Perspektiven und Herausforderungen Deutschlands und Chinas im 21. Jahrhundert“. So haben es die drei für das Dialogprogramm verantwortlichen Stiftungen von Bertelsmann, Robert Bosch und Körber formuliert.

Wenn es um globale Herausforderungen geht, gilt der Altkanzler in Deutschland selbst bei einer Mehrheit der Ungläubigen inzwischen als nahezu göttliches Orakel. Doch auch unter chinesischen Bloggern, denen die Robert-Bosch-Stiftung eine Onlineplattform für Fragen zur Verfügung gestellt hat, genießt „Großväterchen Schmidt“, wie sie ihn nennen, offenbar einige Verehrung. Und Schmidt will sie nicht enttäuschen.

Er ist, unterstützt von (chinesischem?) Tee, seinen Zigaretten und zwei Kopfhörern, in blendender Form. Das heißt, Schmidt spricht über Jahrhunderte und Jahrtausende chinesischer, europäischer, japanischer, nord- und südamerikanischer Historie. Er zitiert vielerlei Geister von Konfuzius bis Deng Xiaoping, den er wegen der Wende von der Kulturrevolution zum Staatskapitalismus den „erfolgreichsten kommunistischen Führer der Weltgeschichte“ nennt. Oder er schlägt einen Bogen von einem die halbe Welt mit einer ungeheuren Flotte umsegelnden chinesischen Admiral des 14. Jahrhunderts zur heutigen Pekinger Außenpolitik, um zu erläutern, warum er die Chinesen trotz allem Chauvinismus und ihren Rohstoffaufkäufen in Asien und Afrika für keine „imperialistische“ oder gar kolonialistische Weltmacht hält.

„Die Chinesen erobern die Welt ohne militärische Gewalt. Das könnte man auch den Amerikanern als Vorbild empfehlen“, fügt Schmidt süffisant an, „wenn man das wollte.“ Ob er trotzdem keine Sorge habe, fragt „Handelsblatt“- China-Korrespondent Frank Sieren als Moderator, dass die Chinesen immer mehr Firmen und Beteiligungen im Westen, in Europa erwürben? „Nein“, es gebe nur noch globalen Wettbewerb, keine national autarken Volkswirtschaften.

Apropos Europa, meint Schmidt, wie man Griechenland als „Wiege unserer Zivilisation“ heute oft behandle, das lasse „Respekt“ – Pause – „und Herz“ vermissen. Auf die Nachfrage, ob er dafür sei, dass China in Deutschland investiere: „Ja, wir können Kapital gebrauchen.“ Ihm sei das lieber, „als wenn die Amerikaner mit ihren scheiß Hedgefonds hier investieren!“

Und die Menschenrechte? Obwohl der Gesprächsanlass ein Kulturjahr ist, redet hier niemand von aktueller Kultur. Oder gar von Künstlern. Also fällt auch nicht der Name Ai Weiwei oder der des noch immer inhaftierten Literaturnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Im Dialog mit Professor Gu aus Bonn spricht Schmidt viel von Konfuzius, und Herr Gu stellt ganz neokonfuzianisch die sozialen „Menschenpflichten“ den individuellen Menschenrechten gegenüber. Schmidt indes erwähnt weder Folter noch Todesstrafe, er kritisiert nur den mangelnden Sozialstaat in China, glaube aber, Chinas Führung werde das Land „in Richtung Sozialstaat“ entwickeln. Dass „ausgerechnet die Deutschen“ China demokratischen Nachhilfeunterricht erteilen sollten, halte er allerdings für „ekelhafte Überheblichkeit“. Als Gu Peking immerhin zu mehr Dialogbereitschaft mit dem Dalai Lama auffordert, schaut der Altkanzler erstaunt.

Angeblich wollen mehrere tausend chinesischer Blogger von Schmidt noch wissen, was das Geheimnis seiner Langlebigkeit sei. „Vermutlich sind es die Gene“, antwortet er ein wenig altbübisch grinsend, „man könnte auch auf Hamburgisch sagen: Der Kerl ist ein zähes Aas.“

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