Politik: CDU-Spendenskandal: Die Macht und der Geldbeutel
Während andere auf Mallorca oder am Wolfgangsee Urlaub machten, wurde in München mit heißer Nadel an der ersten Zwischenbilanz der CDU-Parteispenden Affäre gearbeitet. Nun liegt sie vor, ungebräunt zwar, aber hellsichtig.
Während andere auf Mallorca oder am Wolfgangsee Urlaub machten, wurde in München mit heißer Nadel an der ersten Zwischenbilanz der CDU-Parteispenden Affäre gearbeitet. Nun liegt sie vor, ungebräunt zwar, aber hellsichtig. Denn die drei Musketiere der Süddeutschen Zeitung - Hans Leyendecker, Michael Stiller und Heribert Prantl - haben historisch so weit ausgeholt, dass sie mit ihrem Befund einer von jeher abseitig finanzierten Union kaum noch von der Aktualität überrascht werden konnten. Die detailliert geschilderten Praktiken einer Geld geschützten Machtabsicherung wurden - so die zentrale These des Buches - unter Adenauer erfunden, von Strauß verfeinert und durch Kohl zum System perfektioniert. Damit stellen die Autoren im Grunde das gesamte Erbe der Unionsparteien auf den Prüfstand - von der Gründung der dubiosen staatsbürgerlichen Vereinigung, über die weiß-blauen Amigo-Sümpfe bis hin zur illegalen Praxis von ehrenwörtlich angenommenen Parteispenden.
Im ersten Teil des Buches schildert Hans Leyendecker, wie sich das Eintreiben von Geld bei der CDU zur frühen innerparteilichen Kompetenz mausert, um die Sozis von der Macht fernzuhalten und den Einfluss der Gewerkschaften zu drosseln. Die staatsbürgerliche Vereinigung wechselt ins juristisch genehmere Rheinland-Pfalz und geht mit weiten Teilen ihrer Geschäftstätigkeit in die Illegalität. Also empfiehlt der junge Kohl als CDU-Fraktionschef in Mainz dem Finanzminister des liberalen Koalitionspartners, nicht so viel Wirbel bei der Betriebsprüfung der SV zu machen. Kohl redet ständig über Geld, getreu der Devise des eisernen Kanzlers von Bismarck: "Wer die Hand auf dem Beutel hat, hat die Macht."
Zudem imponiert Kohl der langjährige SPD-Schatzmeister Alfred Nau, der die "Kriegskasse" vor den Nazis gerettet hat und ein wirtschaftliches Imperium dirigiert, "das allenfalls nur er selbst überschaut". Als Parteichef siedelt er in der CDU-Schatzmeisterei mit Walther Leisler-Kiep, Uwe Lüthje und Horst Weyrauch ein trefflich sammelndes Triumvirat an: "Hinter der Fassade der christlichen Partei und ihrer hoch vermögenden Helfer betreibt seit Jahrzehnten ein Trupp von Steuerhinterziehern sein Spiel", klagt Leyendecker an. Die ehrenwehrte Gesellschaft habe "schlicht den Staat betuppt".
Als Kohl im Flick-Untersuchungsausschuss am 7. November 1984 als Zeuge befragt wird, hat er "79-mal Gedächtnislücken". Im Frühjahr 1986 wird gegen ihn wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage ermittelt, woraufhin Lüthje beschließt, falsch auszusagen, "damit Kohl weiter regieren könne". Dass sich der damals so Pannen gebeutelte CDU-Chef über eine "vermutete Falschaussage, die zwei Falschaussagen nach sich zog", im Kanzleramt retten konnte, scheint dessen restloser Rufschädigung Tür und Tor zu öffnen.
Doch Kohl wirft zu seinen Amtszeiten alle Kritiker aus der Bahn. "Heiner, einer von uns beiden bleibt auf der Strecke", eröffnet er seinem langjährigen Generalsekretär Geißler im Herbst 1989. Vor dem entscheidenden Bremer Parteitag verkauft Kohl-Intimus Karl Schumacher etliche Computer an CDU-Geschäftsstellen, stellt ordentliche Rechnungen, schickt aber seltsamerweise Briefe hinterher, "in denen stand, dass die Rechnungen nicht bezahlt werden müssten." Aber berechtigt der Verzicht auf jene zwei Millionen Mark schon zu dem Verdacht, der Parteivorsitzende Kohl habe damals, auf der Kippe stehend, Landesverbände "geschmiert", um seinen möglichen Sturz auf dem Bremer Konvent abzuwenden?
Dagegen steht Geißlers Einschätzung, dass Lothar Späth, wäre er angetreten, auch gewonnen hätte - trotz aller Zuwendungen. "Nimm meinen Namen nicht in den Mund", soll Kohl auf einer Präsidiumssitzung zu seinem Erzfeind Geißler quer über den Tisch gezischt haben - "ein Satz wie aus einem Mafia-Film. Als hätte er gegen das Schweigegebot der Cosa Nostra verstoßen", konstatiert Leyendecker, dessen Schreckensbilanz beim Schreddern von drei Gigabyte Akten aus dem Kanzleramt endet, was der Politologe Wilhelm Hennis einen Fall von "beispielloser Staatskriminalität" nennt.
Ein Grund mehr für den gelernten Richter und Staatsanwalt Heribert Prantl, im Schlussteil des Buches unerbittliche Strenge walten zu lassen. Er hält Kohl "Parteiverrat" vor, die Union schuldhaft in einem Abgrund gestürzt zu haben: "Das Schweigen war ein Verbrechen an der Partei". Nicht genug: 1989 hat die Bundespartei 75,9 Millionen Mark Schulden. Ende 1992 waren die Konten gesund. Hierbei handele es sich, mutmaßt Prantl vielsagend, "um eines der großen Mysterien der bundesdeutschen Parteiengeschichte."
Doch Kohl ist für Prantl nur das prägende Symptom einer Entwicklung hin zu einem dinosaurierhaften Staatsparteien-System. Die Mitwirkungsbefugnis der Parteien sei de facto zu einer umfassenden Gestaltungsbefugnis ausgebaut und missbraucht worden. Daraus leitet der strenge Autor seine "zehn Gebote" ab, die radikal mit dem anonymen Spendenunwesen aufräumen möchten, die Rechtswidrigkeit von Stückelpraktiken ausdrücklich feststellen, die Spendensumme pro Jahr begrenzen und juristischen Personen das Spenden überhaupt untersagen.
Das Buch erweckt in Gänze betrachtet den Eindruck, dass die Erfolgsgeschichte einer bürgerlichen Volkspartei in ein einziges Sumpfszenario umgedeutet werden könnte. Schlimmer noch: Lässt die verbreitete Bereitschaft, über krude Feindlegenden krumme Spendenwege zu beschreiten, nicht Zweifel an der tatsächlichen Läuterung des nachkriegsdeutschen Bürgertums aufkommen? Doch gemach: Die Geschichte der Bundesrepublik muss wohl nicht neu geschrieben werden.
Hans Leyendecker[Heribert Prantl], Michael Stiller[Heribert Prantl]
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