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Raute gegen Fäuste: Auch in der Gestik stimmen die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) noch nicht überein.
© picture alliance / dpa

Streit um Flüchtlingspolitik: CDU, CSU und ihre spezielle Art von Waffenstillstand

CDU und CSU bleiben uneins bei den Themen Obergrenzen und Grenzschließungen. Die Unionsparteien verzichten aber darauf, den Streit öffentlich auszutragen – bis auf Weiteres.

Verwandte, sagt ein Sprichwort, sind jene Bekannten, die man sich nicht aussuchen kann. Diese gemeinhin seufzend vorgetragene Erkenntnis schwebt seit jeher auch über Familientreffen der Unionsparteien, aber neuerdings erinnern Spitzentreffen von CDU und CSU eher sogar an das Aufeinandertreffen sizilianischer Clans. Der bittere Flüchtlingsstreit zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel wirkt nach. Als sich am Sonntagabend erneut eine Spitzenrunde um die beiden Parteichefs im Kanzleramt traf, galt ein Hauptaugenmerk denn auch der Vereinbarung weiterer Friedensverhandlungen. So weit ist ein Erfolg zu verbuchen: Ende Juni wollen die Spitzen beider Parteien für zwei Tage möglichst abgeschieden in Klausur gehen.

„Wir sind auf dem Weg der Besserung“, resümiert anderntags ein Unionsmann. Die Betonung liegt aber auf „dem Weg“. Schon die halbamtliche Mitteilung aus den üblichen „Kreisen“, dass das geplante Versöhnungstreffen „paritätisch“ besetzt sein solle, also Seehofer so viele von den Seinen mitbringen darf wie Merkel von den Ihren, zeugt von fortwährender Nickeligkeit. Umgekehrt hatte die CDU-Seite darauf bestanden, dass am Sonntag Wolfgang Schäuble und Thomas de Maizière die übliche Runde der Partei- und Fraktionsspitzen erweiterten.

Der Finanz- und der Innenminister waren zusätzlich fachlich gefragt: Die Unionsrunde sollte zugleich das nächste Koalitionstreffen am Mittwoch vorbereiten. Dort wollen Union und SPD die zwischenzeitlich aufgelaufenen Projekte jenseits der Flüchtlingsproblematik so weit bringen, dass sie noch vor der Sommerpause das Kabinett passieren können.

Vor allem beim Thema Erbschaftsteuer verläuft die Front allerdings nicht zwischen Union und SPD, sondern zwischen der CSU und den anderen. Das Ergebnis der Unionsrunde war denn auch mager: Man will mal sehen, wie die SPD am Mittwoch auf den Nachforderungskatalog reagiert, den Seehofer vorige Woche an SPD-Chef Sigmar Gabriel übergeben hatte.

Das klingt ein wenig so, als solle Gabriel einen Konflikt ausfechten, mit dem die CDU den wackeligen Burgfrieden mit den Bayern nicht gleich wieder belasten will. Schäuble verwies am Montag darauf, dass man im Bundestag schon sehr weit sei – nämlich auf der Linie seines eigenen Vorschlags – und es sich eher um ein „Problem zwischen zwei Parteivorsitzenden“ handele. Und so einer sei er nun mal nicht.

Schäuble soll "stinksauer" über Seehofers Forderungsliste sein

In Wahrheit ist Schäuble „stinksauer“ über Seehofers Forderungsliste, erzählt ein Christdemokrat, der den Minister in diesem Zustand erlebt hat, zumal etliche der Punkte auf dieser Nachforderungsliste in offenem Widerspruch zu dem Urteil des Verfassungsgerichts stünden, das die Politik umsetzen muss. Schäuble erinnerte wie beiläufig daran, dass die Frist zur Umsetzung des Gerichtsurteils im Juni endet.

Bei den übrigen Sachthemen ist die Einigkeit im Unionslager schon größer. Innenminister Thomas de Maizière wurde allseits in seiner Forderung nach einem Integrationsgesetz mit klaren Vorgaben für Flüchtlinge und Zuwanderer bestärkt. Überhaupt will die Union Fragen der inneren wie der sozialen Sicherheit wieder stark in den Vordergrund schieben. „Zurück zu unseren Kernwählern“ nennt ein Christsozialer die Zielrichtung für die kommenden Monate, die faktisch ja schon der Aufgalopp zur Bundestagswahl 2017 sind.

Was übrigens den Auslöser der Entfremdung angeht, die Flüchtlingspolitik, scheinen sich beide Seiten auf eine spezielle Art von Waffenstillstand verständigt zu haben: Man bleibt unterschiedlicher Meinung über Obergrenzen und Grenzschließungen, verzichtet aber bis auf Weiteres darauf, sie öffentlich auszutragen. Das dürfte auch klug sein, steht doch nach wie vor nicht fest, ob Merkels europäisch-türkische Lösung trägt. Umgekehrt erspart das Beschweigen Seehofer das Eingeständnis, dass er die Einigungsfähigkeit Europas unterschätzt hat.

Aber erledigt ist der Streit damit nicht. In der CSU trifft man nach wie vor auf Leute, die geradezu freudig wirken bei dem Gedanken, dass demnächst neue Flüchtlingsströme über das Mittelmeer kommen könnten – dann werde Merkel doch noch Grenzen schließen müssen! Die Friedensklausur ist also nötig. Ein Ort wird noch gesucht. In Unionskreisen wird von einem Kloster gemunkelt, möglichst gleich weit weg von München und Berlin. Vielleicht wäre Eberbach eine Idee. Die frühere Zisterzienser-Abtei im Rheingau hat dann schon Übung: Dort spielt in Kürze die RTL-Show „Deutschland sucht den Superstar“.

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