„Schädlich, selbstzerstörerisch, maßlos“: CDU-Abgeordnete tadeln Angriffe auf Merkel und AKK
Mit klaren Worten wenden sich 15 führende CDU-Parlamentarier gegen die interne Personaldebatte – ohne Friedrich Merz und weitere beim Namen zu nennen.
Eine Partei zum Putsch aufzurufen, die den Putsch gewöhnlich scheut, ist kein leichtes Unterfangen. Der letzte Versuch fand 2002 statt. Er kostete Angela Merkel die Kanzlerkandidatur. Damals war ein Großteil der Führungsriege der CDU fest entschlossen, die Vorsitzende bei der Klausur zum Jahresauftakt vor die Wahl zu stellen: Verzicht oder Sturz. Merkel kam dem in letzter Minute zuvor und servierte Edmund Stoiber selbst die Kandidatur zum Frühstück.
Friedrich Merz saß seinerzeit als Fraktionschef im Magdeburger Hotel „Herrenkrug“, als Merkel den verblüfften Putschisten ihren taktischen Rückzug verkündete, der später ihn das Amt kosten und ihr das Kanzleramt verschaffen sollte. Die alte Geschichte ist vor allem wegen ihrer Unterschiede zur heutigen Lage instruktiv.
Damals schwamm Merz im Mainstream der Spitzenfunktionäre, der Roland Koch, Christian Wulff oder Günther Oettinger. Die CDU Baden-Württemberg hatte sich offen gegen eine Kanzlerkandidatur Merkels gestellt.
Diesmal folgt dem Schlachtruf des Ex-Fraktionschefs und Ex-Vorsitzkandidaten so recht keiner. Die meisten Top- Amtsträger schweigen. Schützenhilfe bekam er von den üblichen Verdächtigen, den Merz-Fans im Wirtschaftsflügel und der Jungen Union. Einen Tag später melden sich die Kritiker des Kritikers.
„Debatte von älteren Männern“
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther ätzt als erster über eine „Debatte von älteren Männern, die ihr Karriereziel nicht erreicht haben“. Das sollten die bitte mit sich ausmachen, statt es in die Partei zu tragen.
Eine Gruppe führender CDU-Abgeordneter um den Außenpolitiker Norbert Röttgen wirft Merz und anderen – ohne Friedrich Merz oder andere Kritiker beim Namen zu nennen – geradezu parteischädigendes Verhalten vor. „Das Verhalten Einzelner war extrem schädlich für die CDU und selbstzerstörerisch“, heißt es in einer Erklärung, die unter anderem die Fraktionsvizes Johann Wadephul und Katja Leikert, die Rechtspolitikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker und ein Dutzend weiterer Abgeordneter unterzeichneten.
„Die vorgebrachten Attacken waren ebenso politisch kopflos wie maßlos in Stil und Inhalt“, schreiben sie. Und weiter: „Wir fordern als Bundestagsabgeordnete der CDU, die ihr Mandat verantwortungsvoll durch konkrete Arbeit wahrnehmen, alle in der
Partei auf, dieses Verhalten sofort einzustellen.“ Die Partei müsse ihren Kurs der inhaltlichen Erneuerung ohne Zweifel „entschlossener und grundlegender“ angehen. Aber irgendeinen „substanziellen Vorschlag“ zur Erneuerung der CDU habe man nicht gehört.
Noch interessanter sind die Wortmeldungen zweier Nordrhein-Westfalen. Die Minister Herbert Reul und Karl-Josef Laumann fordern im „Kölner Stadt-Anzeiger“ ein Ende der Kanzlerkandidatur-Debatten. Das führe „ins politische Tal der Tränen“, warnt Innenminister Reul.
Eine „Debatte zur Unzeit“ rügt Arbeitsminister Laumann, zugleich Bundesvorsitzender des Arbeitnehmerflügels: „Diejenigen, die heute schon eine Entscheidung herbeireden wollen, führen Scheingefechte, die der CDU nur schaden.“
Damit dürften sie recht gut die Interessenlage ihres Chefs wiedergeben. Ministerpräsident Armin Laschet gilt seit langem als einer, der sich gern im Kanzleramt sähe. Aber der 58-jährige Parteivize kann die Ambition nur verdeckt verfolgen.
Als er vor kurzem den Syrien-Vorstoß seiner Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer als zu unkonkret kritisierte, sorgte das gleich für Schlagzeilen – und am Montag für eine kritische Nachfrage im CDU-Bundespräsidium. Laschet, erzählen Teilnehmer, versuchte den Vorgang runterzuspielen: Er sei doch bloß in einem Online-Liveinterview nach der Initiative der Verteidigungsministerin gefragt worden.
Trifft die CDU-Chefin eine ähnliche Entscheidung wie Merkel vor langer Zeit
Der Europapolitiker Elmar Brok aber erinnerte sich an Merkels Frühstück bei Stoiber in Wolfratshausen und, weil er wirklich schon sehr lange dabei ist, an den Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß. „Einiges spricht dafür, dass die Kanzlerkandidatur so geregelt wird wie schon zweimal in der Geschichte der Union“, sagte Brok, der im CDU-Vorstand sitzt, dem RND.
Er traue Kramp-Karrenbauer zu, dass sie in Ruhe eine ähnliche Entscheidung treffen könnte, wenn es so weit sei. Aber auch für die Idee sind die Voraussetzungen heute anders als vor eineinhalb Jahrzehnten. Damals drängte Stoiber offensiv und mit harten Bandagen voran.
Unvergessen der „Lese-Parteitag“ der CSU: Während die CDU-Vorsitzende Merkel oben auf dem Podium ihr Grußwort hielt, vertieften sich Stoiber und sein ganze Vorstand in der ersten Reihe vor ihr demonstrativ gelangweilt in die Zeitungen. Sie hielten die Blätter sogar extra hoch, damit die Kameras die Düpierung auch ja gut ins Bild bekamen.
Als Kramp-Karrenbauer neulich beim CSU-Parteitag redete, empfing sie der Kollege Markus Söder ausgesucht freundlich. Broks Vorstoß wurden aus München denn auch gleich heftig widersprochen. Für Söder gilt noch mehr als für Laschet: Wenn er der CDU-Vorsitzenden das Zugriffsrecht aufs Kanzleramt streitig machen will, dann muss die Zeit reif sein, und es muss schnell gehen. Die 40-Prozent-Union von 2002 konnte sich einen langen internen Guerillakrieg leisten. Die 25-Prozent-Union nicht mehr.