"Forstrock" in Jamel bei Wismar: Campino singt im Neonazi-Dorf - gegen rechts
In Jamel bei Wismar leben fast nur Rechtsextreme – und die Lohmeyers. Bei ihrem Musikfestival erhielten sie nun prominente Unterstützung.
Birgit und Horst Lohmeyer sind nicht allein. Durch ihr altes Forsthaus wuseln Helfer. Kaffee wird gekocht, zwei Frauen schmieren Brote, jemand fragt nach einem Kasten Bier. Security ist da. Ein DGB-Mann steht im Flur und will über die Spendenaktion reden. Aus dem Bad, das hier Sitzungssaal heißt, kommt der Schlagzeuger der Toten Hosen. Und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) wartet im Garten, um ein paar Worte mit Sänger Campino zu wechseln.
Es ist Samstag, 22 Uhr. „Jamel rockt den Förster.“ Ein Musikfestival „nicht gegen irgendwas“, sagt Horst Lohmeyer, „sondern für Demokratie und Menschenrechte. Zum neunten Mal bereits veranstalten seine Frau und er den Forstrock in dem kleinen Dorf bei Wismar. In diesem Jahr jedoch ist vieles anders. Die Lohmeyers sind inzwischen über Mecklenburg-Vorpommern hinaus bekannt, sie sind ein Beispiel für das helle Deutschland.
Das Ehepaar lebt mitten unter Nazis - und lässt sich davon nicht einschüchtern. Trotz aller Bedrohungen. Vor zwei Wochen erst wurde ihre 150 Jahre alte, reetgedeckte Scheune abgefackelt, die Ermittler fanden Brandbeschleuniger, gehen von einem Anschlag aus, auch wenn der Täter noch nicht gefasst ist. Die Bilder von der Ruine wurden im Fernsehen gesendet, in den Zeitungen gezeigt, auf Facebook geteilt.
Ein Freilichtmuseum für Neonazis
Die Nachricht hat auch die Toten Hosen erreicht. Deshalb der Auftritt in Jamel. Die Band ist der Überraschungsgast beim Forstrock. Nachmittags haben sich die Musiker den Ort zeigen lassen. Er liegt am „A. d. W.“, wie die Lohmeyers sagen. Am Ende einer Sackgasse, kurz vor dem Nichts. In Jamel gibt es Wegweiser nach Braunau, der Geburtsstadt von Adolf Hitler. Auf einer Wand steht: „Dorfgemeinschaft Jamel? frei, sozial, national.“ Ein Freilichtmuseum für Neonazis. Die große Mehrheit der Anwohner ist rechts oder rechtsextrem.
Wer am Abend wegen der Toten Hosen ins Dorf kommt, muss sich links halten. Rechts wohnt ein vorbestrafter Abrissunternehmer. Er ist hier der führende Kopf der Neonaziszene und hat für diesen Samstag zu einer eigenen kleinen Feier eingeladen. Die Polizei sortiert die Besucher gleich am Ortseingang.
1200 Leute haben zu den Lohmeyers gefunden. Mehr als je zuvor. Ausverkauft. Ein paar Autos können auf dem eingeebneten Fundament der niedergebrannten Scheune parken. Der Rest auf einer Wiese. Die Bühne steht gleich nebenan. Das ganze Gelände ist abgeriegelt.
Zwischen den Liedern: „Nazis raus! Nazis raus!“
Die Toten Hosen singen „Sascha – ein aufrechter Deutscher“, ein Spott auf Neonazis, entstanden nach den fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Lichtenhagen. Sie spielen „Hier kommt Alex“, „An Tagen wie diesen“ und „Europa“, einen Song über die Hoffnung und das Schicksal von Bootsflüchtlingen. Sie spielen für alle Lohmeyers in Deutschland, sagt Campino. Für alle, die die Stellung halten würden, „die sich nicht wegdrehen, wenn die Nazis Plätze für sich reklamieren.“ „Nazis raus! Nazis raus!“ wird zwischen den Liedern skandiert.
In den vergangenen beiden Wochen sind zahlreiche Spenden eingegangen für die Lohmeyers, darunter von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD). Das Künstlerpaar erhielt den Georg-Leber-Preis für Zivilcourage der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. DGB, Arbeitgeberverbände, Kirchen und die Amadeu-Antonio-Stiftung sagten ihre Unterstützung zu. Und vor Schwesig war am Freitag bereits Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) angereist, um das Festival zu eröffnen.
Seit 2004 leben die Lohmeyers in Jamel. Sie wurden schon bestohlen, beleidigt und genötigt. „Wir haben die ganze Palette durch, die man sich als Mobbing-Opfer nicht wünschen kann.“ Dazu die Brandstiftung. Aufgeben wollen sie trotzdem nicht. „Wir haben gesagt: Jetzt erst recht!“ Am Wochenende waren die Lohmeyers nicht allein. Das Problem ist: Am Montag wird sich das wieder ändern.
Matthias Hufmann