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Politik: Bürgerin Royal

Von Albrecht Meier

Sie hat es geschafft: Ségolène Royal hat die Urwahl bei Frankreichs Sozialisten für sich entschieden und kandidiert bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr. Damit besteht zum ersten Mal die realistische Möglichkeit, dass eine Frau das höchste Amt im französischen Staat antritt. Dies ist Royal durchaus zuzutrauen – nachdem sie bei der parteiinternen Abstimmung einen gestandenen Ex-Premierminister und einen international erfahrenen Ex-Finanzminister aus dem Feld geschlagen hat. Und ein Zeichen der Zeit wäre es auch: Wenn Deutschland seit einem Jahr seine erste Kanzlerin vorweisen kann, warum dann also nicht auch Frankreich demnächst seine erste Präsidentin? Man malt sich schon die Szene aus, wie Merkel und Royal von Frau zu Frau über die Zukunft Europas beraten. Aber hätte Royal tatsächlich das Zeug, der weiteren Entwicklung der EU entscheidende Impulse zu geben?

Man muss die Frage schon jetzt stellen, auch wenn über Frankreichs nächsten Präsidenten – oder eben eine Präsidentin – erst in fünf Monaten entschieden wird. Denn seit ihrem deutlichen Erfolg bei den „primaries“ unter Frankreichs Sozialisten deuten die Umfragen derzeit darauf hin, dass sich Royal im Frühjahr ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Nicolas Sarkozy liefern wird. Frankreichs bürgerlicher Innenminister Sarkozy gilt im In- und Ausland als Scharfmacher, seit er jugendliche Randalierer in den französischen Vorstädten als „Gesindel“ beschimpfte. Royal spekuliert in dieser Situation darauf, die Franzosen wieder mit sich selbst zu versöhnen. Im April und Mai, wenn ihre Landsleute in zwei Wahlgängen ein neues Staatsoberhaupt wählen, will sie für alle da sein – für die verzweifelten Jugendlichen in den Vorstädten, für die Eltern von Schulkindern, die nach mehr Disziplin rufen, für ein verunsichertes Bürgertum.

Bis jetzt ist sie dabei strategisch klug vorgegangen und hat sich – ganz basisdemokratisch – zunächst einmal die Unterstützung der eigenen Partei gesichert. Auch ihre Neider müssen einräumen, dass sie es geschickt verstanden hat, sich als politische Newcomerin darzustellen. Während sie damit die französischen Sehnsüchte nach einem politischen Neuanfang erfüllt, wird dabei eines oft gerne übersehen – dass nämlich Royal in Wirklichkeit seit den Zeiten von François Mitterrand zum festen politischen Personal Frankreichs gehört.

Nach dem innerparteilichen Erfolg kommt nun aber der zweite, schwierigere Teil beim Rennen um die Macht auf Royal zu. Es liegt in der Natur der Sache, dass sie sich mit ihren programmatischen Aussagen im bisherigen Vorwahlkampf auf die Innenpolitik konzentriert hat. Trotzdem wird man von Ségolène Royal spätestens jetzt auch ein Konzept zur Europapolitik erwarten können, das sie bis dahin schuldig geblieben ist. Ihr Konkurrent Sarkozy hat immerhin vorgeschlagen, eine „Mini-Verfassung“ auszuarbeiten, um einen Ausweg aus der Verfassungskrise der EU aufzuzeigen. Auch eine Meinungsäußerung zu einer Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union hat die ehemalige Umwelt- und Familienministerin Royal vermieden – stattdessen verweist sie lieber darauf, dass ohnehin die Franzosen in dieser Frage bei einem Referendum das letzte Wort haben würden. Royal setzt ganz auf die „partizipative Demokratie“. Ob es ihr gelingen wird, auf einer Welle der direkten Demokratie die Bürgerlichen aus dem Élysée-Palast zu spülen, ist aber noch keineswegs sicher. Glaubt man den Umfragen, dann halten die Franzosen Royal zwar für die bessere Zuhörerin, trauen aber Sarkozy eher die Statur zum Präsidenten zu.

In ihrer Fähigkeit, politische Stimmungen in Botschaften – etwa ihre umstrittene Forderung nach militärischen Erziehungslagern für straffällige Jugendliche – zu verwandeln, liegt das größte Kapital der sozialistischen Kandidatin. Es ist aber zugleich auch ihre größte Bürde. Denn aus der Kunst, politische Stimmungen richtig einzuordnen, erwächst auch schnell die Gefahr, dem Diktat der Basisdemokratie vollends zu erliegen. Wie viel Führungswillen sie besitzt, muss Ségolène Royal erst noch zeigen.

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