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Afghanistan
© Tsp

Afghanistan: Bundeswehr befiehlt Luftangriff - viele Tote

UPDATE Folgenschweres Gefecht der Bundeswehr: Als die Soldaten Luftunterstützung anforderten, kam es zur Katastrophe. Bei der Explosion zweier Laster wurden 50 Taliban getötet. Augenzeugen sprechen von 150 Toten und Verletzten. US-Jets flogen Attacke.

Bei einem von der Bundeswehr befohlenen Luftangriff der Nato im Norden Afghanistans sind am Freitagmorgen Dutzende Menschen getötet worden. Die genaue Opferzahl war bis Freitagnachmittag unklar, ebenso, ob auch Zivilisten getötet wurden. Die Attacke in der Region Kundus, bei der zwei von Taliban-Kämpfern gekaperte Tanklastzüge zerstört wurden, war die bislang größte dieser Art im deutschen Verantwortungsbereich. Schon in der Vergangenheit hatte die hohe Zahl ziviler Opfer durch Luftangriffe – meistens bei Operationen amerikanischer Truppen – heftige Kritik ausgelöst und das Verhältnis der Afghanen zu den westlichen Truppen erheblich gestört. In Sicherheitskreisen wird vermutet, die Taliban wollten die Laster für einen Anschlag nutzen.

Das Verteidigungsministerium in Berlin sprach von mehr als 50 getöteten Aufständischen und erklärte: „Unbeteiligte sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu Schaden gekommen.“ Minister Franz Josef Jung (CDU) werde sich zunächst nicht äußern, weil das „Informationsbild“ noch ungesichert sei. Während Einheimische von mindestens 150 Toten und Verletzten sprachen, ließ Präsident Hamid Karsai mitteilen, es seien „rund 90 Menschen getötet oder verletzt“ worden. Die Nato, die eine zügige Untersuchung der Aktion ankündigte, teilte mit, es seien auch viele Zivilisten verletzt worden, die in Krankenhäusern behandelt würden. Bilder aus der Region zeigen Einheimische, die Massengräber ausheben. Auch die UN-Mission in Kabul zeigte sich über mögliche zivile Opfer besorgt und will Ermittler nach Kundus schicken.

Das Ministerium in Berlin bestätigte, dass der Kommandeur des deutschen Kontingents der von der Nato geführten internationalen Schutztruppe Isaf in Kundus die Luftunterstützung angefordert und auch den Feuerbefehl erteilt habe. Ein Sprecher sagte, dass es sich bei dem Kommandanten um „einen ausgesprochen besonnenen Offizier“ handele. Eine Isaf-Sprecherin sagte: „Nachdem beobachtet wurde, dass nur Kämpfer in dem Gebiet sind, befahl der regionale Isaf- Kommandeur den Luftangriff, bei dem die Laster zerstört und viele Aufständische getötet wurden.“ Die Bundeswehr beteiligt sich mit zurzeit 4240 Soldaten am Isaf-Einsatz, die meisten davon sind im Norden des Landes stationiert.

Der Angriff erfolgte gegen 2.30 Uhr Ortszeit. Die Aufständischen hatten die beiden Tanklastzüge an einem vorgetäuschten Kontrollpunkt sieben Kilometer südwestlich des Bundeswehr-Stützpunktes 40 Minuten zuvor gekapert. Eine mit Infrarot ausgestattete Drohne habe die Entführer verfolgt, mit der Kamera des unbemannten Flugzeugs seien 67 Talibankämpfer gezählt worden, hieß es im Verteidigungsministerium. Daraufhin seien US-Kampfjets angefordert worden. Die Tanklaster waren bei der Überquerung eines Flusses auf einer Sandbank stecken geblieben. Die Treffer der Jets ließen die beiden Fahrzeuge in Flammen aufgehen, Augenzeugen berichteten von einem riesigen Feuerball. Nach Informationen mehrerer Agenturen seien aus dem nahe gelegenen Dorf Hadschi Amanullah hunderte Einwohner herbeigeströmt, um ausfließenden Treibstoff aufzusammeln. Der Angehörige eines mutmaßlichen Opfers sagte der dpa: „In der Gegend waren auch Taliban, aber mehr Opfer gibt es unter Zivilisten.“ Der Mann berichtete, auch sein Cousin sei tot. Es seien „mehr als 150 Menschen getötet oder verletzt“ worden. Der Polizeichef von Kundusagte, eine „Anzahl Zivilisten“ sei getötet worden. Auch ein Talibansprecher nannte die Zahl 150. Der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammed Omar, sagte: „Das Problem ist, dass all diese Menschen rund um die Tanklastwagen schwer verbrannt wurden und es unmöglich ist, sie zu identifizieren.“

Der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei warf der Bundesregierung eine völlig unzureichende Information des Parlaments über den Zwischenfall vor. Die Obleute der Fraktionen im Verteidigungsausschuss hätten 15 Stunden nach dem Nato-Luftangriff gerade mal eine „magere 16-Zeilen-Mitteilung“ aus dem Ministerium bekommen. „So etwas ist einfach hanebüchen“, sagte Nachtwei dem Tagesspiegel. Angesichts der widersprüchlichen Berichte über zahlreiche zivile Tote schulde das Ministerium dem Parlament und der Öffentlichkeit „schnellste, glaubwürdige, rückhaltlose Information“. Dies gelte umso mehr, als die Bundeswehr vor Ort in allen bisherigen Fällen sehr darauf geachtet habe, dass bei ihren Aktionen keine Zivilisten zu Schaden kamen. Im Zweifel sei auf den Einsatz verzichtet worden.

Am Tag des folgenschweren Luftangriffs nahm die Nato in Brüssel Beratungen über ein neues strategisches Konzept auf. Der von der Nato eingesetzte Rat der Weisen trat am Freitag erstmals zusammen. In einer gemeinsamen Sitzung mit den Botschaftern der 28 Nato-Staaten wollten die Experten erste Ideen erörtern. Der Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte, die Entwicklung eines neuen strategischen Konzepts sei überfällig. Das bisherige stammt von 1999. Rasmussen forderte eine engere Abstimmung mit der EU. „Es war bislang unmöglich, ein Sicherheitsabkommen zwischen der Nato und der EU in Afghanistan zu beschließen. Daraus ergeben sich Sicherheitsprobleme für das Personal vor Ort“, sagte er „Le Monde“ . Er werde deshalb in Kürze eine Initiative starten.

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