Nach einem Jahr Haft in der Türkei: Bundestag wehrt AfD-Angriff auf Deniz Yücel ab
Mit großer Mehrheit hat der Bundestag einen Antrag der AfD abgelehnt, Texte von Deniz Yücel öffentlich zu missbilligen. Vor allem der Grüne Cem Özdemir richtete deutliche Worte an die AfD.
Die AfD hatte sich schon seit Tagen auf den Journalisten Deniz Yücel eingeschossen, der erst am vergangenen Freitag nach mehr als einem Jahr in türkischer Haft freigekommen war. Auf Facebook-Seiten der Partei überschlugen sich deren Anhänger mit widerwärtigen Kommentaren, die nur in den seltensten Fällen gelöscht wurden.
„Schmierfink“, „Deutschland-Hasser“ und „widerwärtige Kreatur“, hieß es beispielsweise bei der AfD Vorpommern-Greifswald über den im hessischen Flörsheim geborenen und aufgewachsenen 44-jährigen Reporter der „Welt“, der sowohl einen deutschen als auch einen türkischen Pass hat: „Dieses Dreckschwein hätten sie im türkischen Knast behalten sollen!!“ Womöglich sollte Yücel sogar „nach altem anatolischem Ritual gesteinigt werden“, verlangte eine Kommentatorin.
AfD fordert Yücel zur Abgabe der deutschen Staatsbürgerschaft auf
Nach der Aschermittwochsrede des sachsen-anhaltinischen AfD-Chefs André Poggenburg gab all das einen weiteren Vorgeschmack für die hitzige von der Partei angezettelte Debatte am Donnerstagabend im Bundestag: „Verhalten der Bundesregierung im Fall Deniz Yücel.“ Von „Kameltreibern“ in Deutschlands türkischen Gemeinden hatte Poggenburg bei seinem Auftritt in der sächsischen Provinz gesprochen - sie sollten sich „hinter den Bosporus“ in ihre Lehmhütten scheren.
Nun wollte die AfD im Parlament eine angebliche „Vorzugsbehandlung“ Yücels anprangern, die Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel mit ihrem Einsatz für seine Freilassung hätten zukommen lassen. Die Fraktion verlangte zudem eine Missbilligung von „deutschlandfeindlichen“ Äußerungen Yücels in 2011 und 2012 erschienenen „taz“-Satiren. Gottfried Curio, der den Antrag für die AfD begründete, nannte Yücel eine „Ikone der Linkspresse“ und bezeichnete es als überfällig“, dass der Reporter seine deutsche Staatsbürgerschaft abgibt. Die AfD kritisiert vor allem eine Kolumne mit dem Titel „Super, Deutschland schafft sich ab“ sowie einen Artikel, in dem Yücel dem Autoren Thilo Sarrazin einen Schlaganfall wünscht. Sarrazin musste die „taz“ eine Entschädigung von 20.000 Euro zahlen.
Im Bundestag stand die AfD mit ihren Forderungen allein - ihr Antrag wurde mit 77 gegen 552 Stimmen klar abgelehnt. Redner von CDU/CSU, SPD, FDP, Linkspartei und Grünen kritisierten übereinstimmend den Versuch der AfD, die Pressefreiheit zu beschneiden - die Abgeordneten aus den Fraktionen applaudierten sich oft gegenseitig. Von „Niedertracht“ bei der AfD war die Rede, dort vorhandenem „völkischen Denken“. Und von „intellektueller Erbärmlichkeit“.
Cem Özdemir: "Unser Deutschland ist stärker als ihr Hass"
Das Verhalten der Bundesregierung im Fall Yücel sei „vorbildlich“ gewesen, betonte der CDU-Abgeordnete Alexander Throm. Der Linken-Politiker Jan Korte meinte an die Adresse der AfD: „Sie sind der verlängerte Arm von Erdogan im Kampf gegen Yücel und die Meinungsfreiheit“. Schon vor der Bundestagsdebatte hatte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider vor einer Zustimmung zum AfD-Antrag gewarnt: Die Missbilligung eines journalistischen Textes durch den Bundestag käme staatlicher Zensur sehr nah, erklärte er. Mit ihrer Forderung „zeigt die AfD, dass sie näher bei Erdogan und Putin steht als auf dem Boden des Grundgesetzes“.
Besonders scharf attackierte am Donnerstagabend der ehemalige Grünen-Chef Cem Özdemir die AfD, die er als „tobenden Mob“ erlebe. „Wer sich so geriert, ist ein Rassist“, sagte er über den Versuch der Partei, Yücel die deutsche Staatsbürgerschaft streitig zu machen - auch AfD-Fraktionschefin Alice Weidel hatte sich so schon am Wochenende geäußert. Mit ihrem Vorgehen orientiere sich die AfD an autoritären Regimen, sagte Özdemir. Die AfD sei „aus demselben faulen Holz geschnitzt“ wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der Journalisten verhaften lasse, sagte Özdemir.
Indirekt rückte er die rechtsradikale Partei in die Nähe von Nazis. „In unserem Land, in der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Gleichschaltung, von der sie nachts träumen, bei uns gibt es Pressfreiheit.“ Der Grüne betonte: „Unser Deutschland, dieses Deutschland, ist stärker als ihr Hass es jemals sein wird.“