„Der würdeloseste Moment“: Bundestag streitet nach Selenskyj-Rede über Tagesordnung
Nach der Rede des ukrainischen Präsidenten geht der Bundestag zur Tagesordnung über. Die Opposition nennt das „lächerlich“ und „verlogen ohne Ende“.
Die Koalition von SPD, Grünen und FDP hat nach der Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eine Aussprache des Parlaments über den Ukraine-Krieg abgelehnt. Ein entsprechender Antrag der Union wurde am Donnerstag nur von den Abgeordneten der Linken und der AfD unterstützt. Die drei Koalitionsfraktionen stimmten dagegen.
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Die Union hatte eine 68-minütige Aussprache beantragt. CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz sagte zur Begründung, man wolle von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) drei Wochen nach dessen erster Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine wissen: „Wo stehen wir, haben wir das richtig gemacht, gibt es möglicherweise Entscheidungen die nachkorrigiert werden müssen.“ Merz sagte weiter: „Wann denn, wenn nicht jetzt?“, fragte Merz im Anschluss an die Rede. Die Bundesrepublik habe einen „Anspruch“ darauf, zu erfahren, wie Scholz (SPD) auf die Rede Selenskyjs reagiere, sagte Merz. „Wir sind damit nicht einverstanden“, sagte er über die Tagesordnung. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen schrieb auf Twitter: „Das war heute der würdeloseste Moment im Bundestag, den ich je erlebt habe.“
Auch der Linken-Abgeordnete Jan Korte gab der Union recht – „so leid es mir tut“. Die Ampel agiere „absolut lächerlich“, wenn sie eine Diskussion über die Lage in der Ukraine unterbinden wolle. Sowohl zu den Vorwürfen Selenskyjs als auch zu den von Scholz’ geplanten Militärausgaben müsse es eine Aussprache geben. Es sei „verlogen ohne Ende“, selbst Bezug zu der Rede zu nehmen, aber den Oppositionsparteien das Wort verbieten zu wollen. „Da bricht Ihnen doch kein Zacken aus der Krone.“
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Die Regierung dagegen warfen der Opposition vor, die Rede zu instrumentalisieren. So kritisierte die Grünenpolitikerin Britta Haßelmann. „Sie nutzen die Lage für Stimmungsmache, anstatt der Rede einfach mit Würde und Respekt zuzuhören.“ Die Union habe noch gestern der heutigen Tagesordnung zugestimmt, nun empöre sie sich. Als Zwischenrufe kommen, reagierte Haßelmann barsch: „Haben Sie jetzt genug geschrien da hinten?“
„Wir, die Ampel-Koalition, sind überzeugt, dass die Worte des ukrainischen Präsidenten für sich stehen. Sie haben es verdient, für sich wahrgenommen zu werden“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast.
Die stellvertretende Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) war nach der Rede Selenskyjs ohne Pause zur Tagesordnung übergangenen und hatte zunächst zwei Abgeordneten zum Geburtstag gratuliert – begleitet von Zwischenrufen aus der Unions-Fraktion wie „unwürdig“. Nach einer Geschäftsordnungsdebatte über den Antrag der CDU/CSU schloss sich dann die Debatte über die Impfpflicht an. (dpa, Tsp)