Nach Corona-Fällen in Schlachthöfen: Bundesregierung will in der Fleischindustrie „aufräumen“
Mehrere Schlachtbetriebe sind zu Corona-Hotspots geworden. Die Bundesregierung will für bessere Arbeits- und Wohnbedingungen der Beschäftigten sorgen.
Nach der Häufung von Corona-Infektionen in mehreren Schlachthöfen stellt die Bundesregierung rechtliche Konsequenzen in Aussicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigten am Mittwoch im Bundestag an, dass das Corona-Kabinett am kommenden Montag strengere Vorschriften beschließen werde. Merkel sprach von „erschreckenden Nachrichten“ aus der Fleischindustrie und verwies auf die oft prekären Arbeits- und Wohnbedingungen der Beschäftigten. Heil versprach: „Wir werden aufräumen mit diesen Verhältnissen.“
In mehreren Schlachtbetrieben - etwa im westfälischen Coesfeld und im schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt - waren Corona-Infektionen bei einer Vielzahl von Beschäftigten festgestellt worden. Die Arbeitsbedingungen in der Branche sind dadurch ebenso in den Blickpunkt gerückt wie die oft überfüllten Sammelunterkünfte der zahlreichen osteuropäischen Leiharbeiter.
Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) räumte jahrelanges parteiübergreifendes Versagen bei Missständen in Schlachtbetrieben ein. Niemand, der schon länger Arbeits- und Sozialpolitiker sei, könne „so tun, als wenn wir nicht wüssten, dass wir es in der Arbeits- und Unterbringungssituation der osteuropäischen Werkvertragsarbeitnehmer in der Fleischindustrie oft mit prekären Verhältnissen zu tun haben“, sagte Laumann am Mittwoch in Düsseldorf.
Clemens Tönnies, geschäftsführender Gesellschafter bei Deutschlands größtem Schlachtbetrieb Tönnies, widersprach einem Generalverdacht gegen die Fleischindustrie in der Corona-Pandemie. „Ich habe viel Verständnis für Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Er steht gerade sehr unter Druck“, sagte er in Rheda-Wiedenbrück. „Aber seine Kritik darf nicht zur Manie werden.“
Bei Deutschlands größtem Fleischverarbeiter Tönnies in Rheda-Wiedenbrück (Nordrhein-Westfalen) wurden bislang allerdings keine Corona-Fälle entdeckt. Bis Mittwochmittag hätten 784 Laborbefunde vorgelegen. „Diese Befunde waren alle negativ“, teilte der Landkreis Gütersloh mit. Nordrhein-Westfalen hatte zuvor angeordnet, alle Beschäftigten der Schlachthöfe auf eine mögliche Covid-19-Erkrankung zu testen.
Auch die niedersächsische Landesregierung will nun sämtliche Schlachthof-Mitarbeiter im Land überprüfen. Dabei gehe es um 23.700 Beschäftige in 183 fleischverarbeitenden Betrieben, kündigte Sozialministerin Carola Reimann (SPD) im Landtag in Hannover an.
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Heil sieht „Wurzel allen Übels“ in Subunternehmen
Bundesarbeitsminister Heil sorgt sich unterdessen um die Arbeitsbedingungen und die Unterbringung der meist ausländischen Mitarbeiter: „Wir dürfen als Gesellschaft nicht weiter zugucken, wie Menschen aus Mittel- und Osteuropa in dieser Gesellschaft ausgebeutet werden.“ Das Subunternehmertum in der Fleischbranche sei dabei die „Wurzel des Übels“.
Deshalb warb Heil dafür, grundsätzlich über die derzeit weit verbreiteten Werksvertrags-Konstruktionen nachzudenken. Darüber hinaus machte sich der Minister für bundesweit verbindliche Kontrollquoten stark. Viele Bundesländer hätten bei den zuständigen Behörden zu stark gespart, um die Einhaltung der bestehenden Arbeitsschutzregeln zu überprüfen.
Bei einer Aktuellen Stunde im Bundestag prallten gegensätzliche Positionen aufeinander. Jutta Krellmann von der Linken forderte unter anderem ein Verbot von Werkverträgen, klare Regeln für die Unterkünfte und einen brancheneinheitlichen Mindestlohn. Der Grünen-Parlamentarier Friedrich Ostendorff machte sich für eine Schließung von Betrieben stark, solange keine Mindestabstände und eine Einzelunterbringung der Arbeitskräfte gewährleistet sind.
Der agrarpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Stephan Protschka, warnte hingegen, bei zusätzlichen Verboten und Auflagen drohe eine Abwanderung der Schlachtbetriebe ins Ausland. Auch der FDP-Abgeordnete Carlo Cronenberg setzt auf strengere Kontrollen statt auf neue Gesetze: „Wir haben kein Rechtssetzungsproblem - wir haben ein Rechtsdurchsetzungsproblem.“ (dpa)