UN-Menschenrechtsrat beurteilt Deutschland: Bundesregierung rechnet mit Kritik
Vom heutigen Donnerstag an wird der UN-Menschenrechtsrat in Genf die Lage der Menschenrechte in Deutschland beurteilen. Laut Deutschem Institut für Menschenrechte fehlt bisher „eine umfassende Strategie gegen rassistische Diskriminierung“.
Berlin - Wie ist es um die Menschenrechte in Deutschland bestellt? Die Rüge der Vereinten Nationen (UN) für den Umgang der Justiz mit dem Fall Sarrazin hat vor wenigen Tagen gezeigt, dass die Deutschen auf diesem Feld nicht durchgängig Weltklasse sind. Vom heutigen Donnerstag an wird der UN-Menschenrechtsrat in Genf nun die gesamte Lage der Menschenrechte in Deutschland beurteilen. Das zögerliche Vorgehen deutscher Behörden gegen Rassismus dürfte dabei erneut eine prominente Rolle spielen. Schon 97 Länder haben nämlich für die Genfer Sitzung Fragebedarf im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie angemeldet, darunter auch die Türkei. Man rechne mit Kritik, hieß es am Dienstag aus der Bundesregierung.
„Rassismus und Nichtdiskriminierung“ stehen auch an der Spitze der Agenda, die das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) für die Genfer Prüfung formuliert hat. Das DIMR hat als nationale Menschenrechtsinstitution am Verfahren mitgewirkt. Der Bundesrepublik fehle bisher „eine umfassende Strategie gegen rassistische Diskriminierung“, und Hilfe durch die Justiz sei kaum möglich. Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg etwa hatte den UN-Antirassismusausschuss angerufen, nachdem das Ermittlungsverfahren gegen Sarrazin wegen Volksverhetzung eingestellt worden war.
Im Falle NSU, sagt Petra Follmar-Otto vom DIMR, gelte es zu untersuchen, inwieweit rassistische Strukturen oder Vorurteile „den Fokus der Ermittlungen verengten“, also dazu führten, dass die Ermittler Mordmotive stets im angeblich kriminellen Vorleben der Opfer oder ihrer Familien suchten, statt Hassverbrechen zu vermuten. Dieser Aspekt fehle fast vollständig in den Aufgaben, die die Landtage und der Bundestag ihren NSU-Untersuchungsausschüssen gestellt hätten, sagt Follmar-Otto. Deren Schwerpunkt liege „auffällig auf Sicherheitsaspekten“. Die Perspektive der Opfer spiele dagegen kaum eine Rolle, ebenso wenig, wie sich Behördenstrukturen, Aus- und Weiterbildung oder Ermittlungsroutinen verändern müssten, damit die Ermittler nicht auf dem entscheidenden Auge blind blieben.
Ein weiteres wesentliches Thema sind für das DIMR die Rechte Behinderter. Sie müssten besser vor Gewalt und Zwangstherapien geschützt werden, vielen von ihnen sei sogar das Wahlrecht aberkannt. Ein vollständiges Recht auf Bildung hätten sie weiter nicht, sagt Valentin Aichele, der die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention am Institut leitet. „Inzwischen besuchen zwar mehr Kinder mit Behinderungen die Regelschulen. Es bleibt aber bei der Segregation.“
Die Genfer Verfahren, die „Regelmäßige Gesamtprüfung“ (Universal Periodic Review, kurz UPR) genannt werden, gibt es seit 2007. Zuvor hatten die Vereinten Nationen beschlossen, die Menschenrechtskommission durch den Menschenrechtsrat abzulösen, um dem Thema mehr Gewicht zu geben. Der Rat kann auch direkt an die UN-Vollversammlung berichten. Das UPR-Verfahren untersucht die Menschenrechtslage in allen Mitgliedstaaten im Rhythmus von vier Jahren und entwickelt Empfehlungen. Für Deutschland, das 2009 schon einmal überprüft wurde, werden sie kommenden Dienstag feststehen. Bis zum Herbst muss die Bundesrepublik entscheiden, ob sie die Empfehlungen akzeptiert. Grundlage des Verfahrens sind der Menschenrechtsbericht der Bundesrepublik, Erkenntnisse, die UN-Organe gesammelt haben, sowie eine Zusammenfassung der Beiträge von Nichtregierungsorganisationen und aus der Zivilgesellschaft durch das Hochkommissariat für Menschenrechte.
Andrea Dernbach