Völkermord an den Armeniern: Bundesregierung in Bedrängnis
Bundespräsident Gauck könnte nächste Woche den Völkermord an den Armeniern beim Namen nennen. Für die Regierung wäre das blamabel. Sie will das Wort Genozid vermeiden. Doch die Kritik wird immer lauter - auch in den eigenen Reihen.
- Dr. Christian Böhme
- Antje Sirleschtov
- Stephan Haselberger
Wird Bundespräsident Joachim Gauck aussprechen, was die große Koalition aus Rücksichtnahme auf den Nato-Partner Türkei partout vermeiden will? Seit Wochen wird in Union und SPD darum gerungen, den 1915 vom Osmanischen Reich verübten Genozid an den Armeniern klar als Völkermord zu benennen.
Ein entsprechender Antrag aus beiden Fraktionen wurde auf Druck von Kanzleramt und Auswärtigem Amt entschärft, der Begriff Völkermord aus der Überschrift gestrichen. Doch nun muss die Regierung damit rechnen, dass das Staatsoberhaupt am Vorabend des Gedenkens zum 100. Jahrestag des Menschheitsverbrechens deutliche Worte findet.
Opposition spricht von Duckmäusertum
Auf Einladung der christlichen Kirchen in Deutschland wird Gauck an einem ökumenischen Gottesdienst am 23. April im Berliner Dom zur Erinnerung an den "Völkermord an Armeniern, Aramäern und Pontos-Griechen" teilnehmen. Im Anschluss daran hält der Bundespräsident eine kurze Ansprache. Allein seine Zusage deutet man in Koalitionskreisen als klaren Hinweis darauf, dass Gauck den Genozid ohne diplomatische Rücksichtnahme beim Namen nennen wird
Union und SPD droht dann eine Blamage. Denn am Tag danach, dem 100. Jahrestag des Völkermords, will die Koalition ihren entschärften Antrag im Bundestag einbringen und diskutieren. Grüne und Linke werden der Koalition daraufhin Duckmäusertum und Opportunismus vorwerfen und sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Bundespräsidenten berufen können.
"Zutiefst beschämend"
Noch unangenehmer für die Spitzen von Schwarz-Rot: In den eigenen Reihen hält man die Zurückhaltung mit Rücksicht auf die Türkei ebenfalls für peinlich. Auch das dürfte am kommenden Freitag im Hohen Haus zutage treten. Da ist zum Beispiel Erika Steinbach (CDU), die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Menschenrechte in der Unions-Bundestagsfraktion. Es sei "zutiefst beschämend", sollte der Bundestag den Völkermord an den Armeniern nicht beim Namen nennen, sagte sie dem Tagesspiegel. Auf dem Spiel stehe die "Glaubwürdigkeit deutscher Menschenrechtspolitik". Steinbach selbst hat sich bereits auf die Rednerliste für kommenden Freitag setzen lassen. Sie kündigt an: "Ich werde im Bundestag klar sagen, dass es ein Genozid gewesen ist."
Auch der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Frank Schwabe, hadert mit den Vorgaben aus dem Haus von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). „Der Bundestag muss in der Lage sein, den Völkermord an den Armeniern klar zu benennen“, sagt Schwabe. "Andernfalls berauben wir uns der Möglichkeit, aktuelle und zukünftige Genozide als solche anzuprangern."
Steinbach und Schwabe sind in ihren jeweiligen Fraktionen keineswegs isoliert. Wenn kommenden Dienstag in den Fraktionssitzungen über den Antrag beraten wird, müssen die Vorsitzenden Volker Kauder (CDU) und Thomas Oppermann (SPD) mit erheblichem Widerstand rechnen. "Wenn wir in der Fraktion unabhängig von diplomatischen Erwägungen frei abstimmten, würde der Völkermord als solcher benannt", ist sich SPD-Mann Schwabe sicher. In der Union wächst der Druck spätestens, seit Papst Franziskus am Wochenende den Völkermord als ersten des 20. Jahrhunderts anprangerte und dafür von der türkischen Regierung gerügt worden war.
Zentralrat der Juden: Deutschland hat besondere Verantwortung
Der Zentralrat der Juden in Deutschland ließ am Mittwoch ebenfalls kaum einen Zweifel an seiner Position. "Vor 100 Jahren wurden im Osmanischen Reich auf Befehl der Regierung mehr als eine Million Armenier deportiert. Sie wurden direkt ermordet oder verhungerten und verdursteten in der Wüste", sagte Präsident Josef Schuster dem Tagesspiegel. "Dieses schreckliche Geschehen sollte als das bezeichnet werden, was es war: ein Genozid." Für Schuster steht die Bundesregierung auch deshalb in einer besonderen Verantwortung, weil deutsche Offiziere damals zu den Mitwissern und Mittätern gehörten. „Hitler hat sich später den Völkermord an den Armeniern quasi zum Vorbild für die Vernichtung der Juden genommen."
Nach armenischen Angaben fielen dem Genozid 1,5 Millionen Menschen zum Opfer. Unter Historikern ist es längst nicht mehr umstritten, dass die Gräueltaten des Osmanischen Reiches 1915 als Völkermord anerkannt werden müssen. Mehr als ein Dutzend Staaten, darunter Frankreich, die Schweiz und die Niederlande, werten die Vertreibungen, Vergewaltigungen und Massaker als Völkermord. Auch die Vereinten Nationen und das Europaparlament sind dieser Auffassung. Der 100. Jahrestag der damals begangenen Verbrechen sei eine bedeutende Gelegenheit, die Vergangenheit aufzuarbeiten, heißt es in einer am Mittwochabend verabschiedeten Resolution.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan allerdings weist seit Jahren den Vorwurf des Genozids an den Armeniern zurück. Auch jetzt bekräftigte er wieder: "Es gibt keinen schwarzen Fleck des Völkermordes auf unserem Land."