Zu schnell, zu viel, zu teuer: Bundesrat missfällt EU-Reformagenda 2020
Auf ihrem nächsten Gipfel Ende März wollen die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten das neue Zehnjahresprogramm der Kommission im Grundsatz gutheißen. Die deutschen Bundesländer fühlen sich zu wenig einbezogen und wollen mehr Zeit.
Gerade einmal zwei Wochen ist es her, dass die neue EU-Kommission ihr Zehnjahresprogramm „Europa 2020“ vorgelegt hat. Darin sind die Ziele und Planungen enthalten, mit denen sich die europäische Politik in der kommenden Dekade vor allem beschäftigen soll. Am 25./26. März wollen es die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten auf ihrem Gipfel in Brüssel im Grundsatz gutheißen. Gut drei Wochen also für ein Grundsatzprojekt – den deutschen Ländern gefällt das nicht. Zu knapp sei die Zeit für die Beratung und die öffentliche Debatte. Zudem hat die Europakammer des Bundesrats am Dienstag festgestellt, dass die Brüsseler Kommission möglicherweise ihre Zuständigkeiten überschreitet. Daher fordern die Länder mehr Zeit für eine „seriöse Befassung“ mit dem EU-Vorhaben und einen Grundsatzbeschluss erst auf dem EU-Gipfel im Juni.
Um überhaupt Stellung nehmen zu können – die nächste reguläre Bundesratssitzung ist erst am 3. April –, musste die für Eilfälle eingerichtete (und letztmals vor mehr als zehn Jahren tagende Europakammer) im Umlaufverfahren, also ohne Zusammenkunft im Plenum, entscheiden. Für den baden-württembergischen Europaminister Wolfgang Reinhart (CDU) ist das ein Unding: „Einen solch engen Zeitplan wird sich der Bundesrat nicht noch einmal gefallen lassen. Es ist schon sehr erstaunlich, dass die EU bei einer so entscheidenden Sache wie ihrem Grundsatzprogramm für die nächsten zehn Jahre eine Planung an den Tag legt, die den Ländern in Deutschland nur eine Woche Zeit lässt, um ihre Standpunkte darzulegen.“
Die knappe Zeit hat die Landesregierungen freilich nicht daran gehindert, eine Stellungnahme mit 70 Punkten zusammenzutragen. Vor allem bei den bildungspolitischen Anliegen der EU-Kommission haben die Länder erhebliche Bedenken. Das Anliegen der Agenda „Europa 2020“ ist es hier, den Anteil der Schulabbrecher von 15 auf zehn Prozent zu senken. Vor allem aber sollen 40 Prozent eines Jahrgangs eine Hochschulausbildung haben – derzeit sind es europaweit 31 Prozent. Solche konkreten Vorgaben lehnt der Bundesrat ausdrücklich ab. „Die Bildungssysteme sind in den Nationalstaaten zu unterschiedlich, um europaweit einen Hochschulabschluss von 40 Prozent aller 30- bis 34-Jährigen verbindlich einfordern zu können“, meint der Stuttgarter Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU). Vorgaben der EU müssten den Besonderheiten des deutschen Bildungssystems gerecht werden. Gemeint ist der hohe Anteil der beruflichen Bildung, doch wird das duale Ausbildungssystem der Bundesrepublik im internationalen Vergleich kaum berücksichtigt. Insofern wäre die 40-Prozent-Quote für Deutschland schon aus statistischen Gründen schwerer zu erfüllen. Daher sollen die Zahlen der EU nur unverbindlichen Charakter haben. Die von der Kommission geforderte Setzung verbindlicher Ziele sei „nicht vertragskonform“, heißt es in der Bundesrats-Stellungnahme.
Was den Bildungsbereich betrifft, erinnert der Bundesrat die EU-Kommission daran, dass ihr hier nur eine subsidiäre Rolle zukommt. Daher lehnt er auch die Brüsseler Vorstellung ab, europäische, nationale und regionale Programme etwa bei der Forschungsförderung enger zu verzahnen und damit der EU quasi eine Lenkungsrolle zu geben. „Nationale und regionale Programme sollten nur gebündelt werden, wenn ein nachvollziehbarer europäischer Mehrwert sichergestellt ist“, lautet die Ansage Richtung Brüssel.
Außerdem hält der Bundesrat die EU-Reformagenda für in sich widersprüchlich. Die vorgeschlagenen Initiativen – neben der Bildung und Forschungspolitik geht es vor allem um Maßnahmen zur Wettbewerbssteigerung und Wachstumsförderung – brächten für die Mitgliedstaaten zum Teil erhebliche Folgekosten. „Wie diese mit dem zugleich festgestellten Konsolidierungsbedarf in Einklang zu bringen sind, wird in der Vorlage nicht explizit ausgesprochen“, lautet die Kritik. Ganz generell missfällt den Ländern, dass die Zielvorgaben aus Brüssel die eigene Flexibilität einengen könnten: „Die nationalen und regionalen Gesetzgeber brauchen weiterhin einen ausreichenden Spielraum zur Politikgestaltung, und auch die Haushaltsautonomie muss in Zukunft gewahrt bleiben.“
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