Trauerakt für die Opfer des Germanwings-Flugs 4U9525: Bundespräsident Gauck: Ein Band des Mitleidens
In einer bewegenden Trauerfeier haben im Kölner Dom Angehörige und Repräsentanten von Staat und Kirchen der 150 Opfer des Absturzes der Germanwings-Maschine am 24. März gedacht. Bundespräsident Joachim Gauck sprach von einem "Band des Mitleidens und des Mittrauerns".
- Matthias Schlegel
- Stephan Haselberger
„Ja, da ist er wieder, dieser unerhörte Schock, der uns am 24. März getroffen hat.“ Mit diesen Worten hat Bundespräsident Joachim Gauck am Freitag im Kölner Dom seine Rede bei der Trauerfeier für die 150 Opfer des Absturzes der Germanwings-Maschine 4U9525 eingeleitet. Seit diesem Tag sei für diese Familien und Freunde „nichts mehr, wie es war. Es ist etwas zerstört worden, das in dieser Welt nicht mehr geheilt werden kann“, sagte Gauck. Keine Macht der Welt könne einen solchen Verlust ungeschehen machen. „Aber wenn wir das nicht vermögen, so heißt es nicht, dass wir Menschen nichts vermögen. Indem wir neben unseren leidenden Mitmenschen stehen bleiben, indem wir zueinander stehen, entsteht zwischen uns ein Band des Mitleidens und des Mittrauerns“, sagte der Bundespräsident. Er spüre dieses „Band der Gemeinsamkeit“ in diesen Tagen sehr stark, auch im Gespräch und in Korrespondenz mit vielen Staatsoberhäuptern aus dem Ausland, die ihr Mitgefühl ausgesprochen hätten.
Dem Schock vom 24. März sei die vielleicht noch schlimmere Erkenntnis gefolgt, dass die Ursache des Unglücks kein technisches Versagen gewesen sei, „sondern offenbar von einem Menschen bewusst herbeigeführt war“, sagte Gauck. Diese schreckliche Tat eines Einzelnen habe alle mit einer „sehr grundsätzlichen Tatsache“ konfrontiert: „Wir alle sind im täglichen Leben auf Vertrauen angewiesen. Ein Leben ohne Vertrauen ist nicht vorstellbar, nicht in der Familie, nicht unter Freunden, nicht in der Gesellschaft. Es gibt kein vollkommen kontrollierbares, zu hundertprozentiger Sicherheit führendes Leben. Wir müssen anderen vertrauen – den Autofahrern, die uns in der Kurve entgegenkommen, den Köchen, deren Gerichte wir im Restaurant bestellen, den Installateuren, die unsere Gasleitungen bauen oder kontrollieren. Nirgendwo kommen wir ohne Vertrauen aus.“
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sagte, die Opfer hinterließen eine "unfassbare, schmerzhafte Leere", die niemand füllen könne. Sie hoffe, dass die breite Anteilnahme den Hinterbliebenen Kraft gebe, das Leid zu tragen. Sie würdigte zugleich das Engagement der Helferinnen und Helfer, die tiefe menschliche Verbundenheit gezeigt hätten.
Dem staatlichen Gedenkakt war ein ökumenischer Gottesdienst vorausgegangen, der mit dem Trauergeläut des Kölner Doms eingeleitet worden war. Zu Beginn des Gottesdienstes hatten die Dom-Chöre das „Requiem aeternam“ von Gabriel Fauré intoniert. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki und die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, leiteten den Gottesdienst.
Für jeden Menschen, der beim Absturz der Germanwings-Maschine am 24. März in den französischen Alpen ums Leben gekommen ist, stand an diesem offiziellen Trauertag eine weiße Kerze im Kölner Dom. Es waren 150 an der Zahl. Ja, 150, nicht 149. Auch für denjenigen, der vermutlich den Absturz der Maschine verursacht hat, war eine Kerze angezündet worden. "Es sind 150 Opfer", hatte Woelki schon im Vorfeld der Trauerfeier gesagt. Das Urteil über den Kopiloten müsse man Gott überlassen, sagte der frühere Erzbischof von Berlin.
Es ist nicht der Zeitpunkt, um darüber nachzusinnen, ob den Angehörigen der Opfer an diesem Ort des Gedenkens dieser christliche Toleranzgedanke zuzumuten war. Etwa 500 von ihnen waren gekommen, um gemeinsam mit den Repräsentanten von Staat und Kirche im gemeinsamen Gedenken zu verharren. Unter ihnen sind auch viele Menschen aus der nordrhein-westfälischen Stadt Haltern, aus der 16 Schüler und zwei Lehrer des dortigen Joeph-König-Gymnasiums bei dem Absturz ums Leben gekommen waren. So war es berührend, dass bei dem Trauerakt auch ein Ensemble des Halterner Gymnasiums musizierte. Das Trio - zwei Streicherinnen und ein Pianist - spielte ein Thema aus „Schindlers Liste“ von John Williams. Beim Trauergottesdienst betete eine junge Frau, die einen geliebten Menschen bei dem Unglück verloren hat, für Lebensmut: „Herr, ich bitte Dich: Trockne unsere Tränen, stärke die schönen Erinnerungen und schenke uns allen neuen Lebensmut“, sagt sie sichtlich bewegt. Sie bat darum, Liebe stärker sein zu lassen als Verzweiflung. „Lieber Gott, gib unseren verunglückten Verwandten und Freunden ein neues Zuhause und pass immer auf sie auf.“
Für die Hinterbliebenen ist der Schmerz über den Verlust ihrer Lieben eine ganz persönliche, private Angelegenheit. Dem scheint eine solch immense öffentliche Aufmerksamkeit, wie sie der Trauerakt und der staatliche Trauerakt in Köln mit sich brachten, entgegenzustehen: ARD, WDR und die Nachrichtensender Phoenix, n-tv und N24 übertragen ihn live im Fernsehen. Die Lufthansa gab ihren Mitarbeitern weltweit die Möglichkeit, die offizielle Gedenkfeier zu verfolgen. Es ist eine nationale Tragödie gewesen, und so, wie das ganze Land seit jenem 24. März in Trauer und Entsetzen vereint war, mag dies auch ein Trost für die Hinterbliebenen gewesen sein: Die ganze Nation teilt ihren Schmerz. Und so war es an diesem Tag eine seltsame Mischung aus Öffentlichkeit und Abschirmung: Die Angehörigen der Opfer wurden im Dom so platziert, dass ihre Gesichter nicht in das Blickfeld der Fernsehkamera gelangen konnten. Eine benachbarte Kirche war gänzlich abgesperrt. Die Mitarbeiter von Germanwings und Lufthansa waren gebeten worden, nicht in Uniform bei der Trauerfeier zu erscheinen. Es war das Mindeste an Pietät, das man den Angehörigen in dieser Stunde entgegenbringen konnte, in der sie gleichwohl im Zentrum des nationalen Gedenkens standen.
So sagte denn auch Präses Kurschus im Trauergottesdienst, die Menschen rückten nun zusammen „im Aushalten-Müssen und im Begreifen-Wollen“. Gott selbst leide mit den Familien und Freunden der Toten mit. Schmerz, Trauer und Verzweiflung seien bei ihm aufgehoben. Und Kölns Erzbischof Woelki versuchte den Angehörigen Trost zu spenden mit den Worten: „Wir glauben, dass diese150 Menschen nicht verschwunden und nicht ins Nichts gegangen sind, als sie aus der Welt geschieden sind.“ Nötig seien nun Menschlichkeit und Solidarität, damit die verzweifelten Hinterbliebenen den Weg zurück ins Leben fänden und nicht von der Trauer versteinert würden.
Zwei Notfallhelfseelsorger berichteten in dem Gottesdienst über die tröstende Wirkung des Engel-Symbols in Gesprächen mit Hinterbliebenen - und sie überreichten jeweils eine kleine hölzerne Engelsfigur einer Angehörigen stellvertretend für alle Familienmitglieder und Freunde der Opfer, sie überreichten die Engel aber auch dem Bundespräsidenten, der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sowie dem spanischen Innenminister Jorge Fernandez Diaz und dem französischen Staatsminister für Verkehr, Alain Vidalies. Germanwings-Chef Thomas Winkelmann erhielt einen Engel stellvertretend für die Mitarbeiter aller Fluggesellschaften.
Die Veranstaltung unterlag strengen Sicherheitsvorkehrungen. Vor Beginn wurden an mehreren Einlasspforten am weiträumig gesperrten Domplatz auch die Geistlichen einem Sicherheitscheck unterzogen. Auf den digitalen Werbetafeln ringsum wurde an diesem Tag auf Werbebotschaften verzichtet, sie zeigten nur das Datum des Absturzes 24.3.2015, die Flugnummer 4U9525 und eine Trauerschleife.
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