Scholz will nicht in die Krise „hineinsparen“: Bund plant für 2021 Neuverschuldung von 96,2 Milliarden Euro
Um die Corona-Krise abzufedern, nimmt die Regierung viel Geld in die Hand - für Konjunkturpakete und Hilfen für Firmen. Ab 2022 drohen Haushaltslöcher.
Werner Gatzer konnte sich jahrelang als Architekt der „Schwarzen Null“ feiern lassen, 2014 wurde erstmals seit 45 Jahren wieder ein Haushalt ohne neue Schulden geschafft, um die Lasten für künftige Generationen zu mindern. Bis 2019 stand die „Null“, dann kam Corona und aus dem Haushalt-Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, einem eingefleischten Fan des 1. FC Köln, wurde der Architekt des Haushalts mit der größten Neuverschuldung der Nachkriegsgeschichte.
Am Freitag sind nun die Zahlen des Entwurfs für den Bundeshaushalt 2021 von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) bekannt geworden. Demnach muss erneut wegen einer „außergewöhnlichen Notsituation" gemäß Artikel 115 des Grundgesetzes die Schuldenbremse ausgesetzt werden. Hierzu braucht es eine 2/3-Mehrheit im Bundestag.
Denn im kommenden Jahr ist wegen der Konjunktur- und Steuereinbrüche eine Nettokreditaufnahme von weiteren 96,2 Milliarden Euro notwendig - also fast 100 Milliarden Euro. So haben es Gatzer und seine Fachleute ausgerechnet. Insgesamt wird mit Ausgaben von 413,4 Milliarden Euro geplant, mit dem Auslaufen von Konjunkturpaketen sollen die Ausgaben bis 2024 auf 393,3 Milliarden Euro sinken.
Die Neuverschuldung von 96,2 Milliarden Euro im kommenden Jahr sei notwendig, „um nicht in die Krise hineinzusparen“, hieß es aus dem Finanzministerium. „Positiv ausgedrückt: Wir haben sie mehr als halbiert im Vergleich zum aktuellen Jahr.“ 2020 summiert sie sich auf die Rekordsumme von rund 218 Milliarden Euro.
Schwerste Rezession der Nachkriegszeit droht
Deutschland droht dieses Jahr wegen der Corona-Krise die schwerste Rezession der Nachkriegszeit. Allerdings ist die Neuverschuldung aus Sicht der Opposition bewusst üppig gehalten, der echte Kassensturz wird erst nach der Bundestagswahl 2021 kommen, wenn die neue Regierung sagen muss, wo im Haushalt 2022 gespart werden soll.
Denn erklärtes Ziel ist es, dass die Schuldenbremse ab 2022 wieder eingehalten wird, aber dazu müsste die Wirtschaft schnell wieder wachsen und entsprechend die Steuereinnahmen anziehen. Der FDP-Haushälter Otto Fricke nennt den Etat ohne klare Vorschläge für Ausgabenbegrenzungen „einen reinen Wahlkampfetat“. Scholz wird als Kanzlerkandidat der SPD antreten – doch sollte er der nächsten Regierung angehören, dürfte nach der Wahl nicht viel zum Verteilen bleiben. Denn die Schuldenbremse soll und darf schließlich nicht dauerhaft ausgesetzt werden.
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Das Ministerium beziffert den finanzpolitischen Handlungsbedarf für das Jahr 2022 auf 9,9 Milliarden Euro, auf 16,4 Mrd. in 2023 und auf 16,2 Mrd. 2024. Nächsten Mittwoch soll das Bundeskabinett den Entwurf für den Haushalt 2021 sowie die mittelfristige Finanzplanung bis 2024 beschließen. Bis Mitte Dezember sollen Bundestag und Bundesrat den Plan final beschließen.
Nachdem die Maßnahmen der Konjunktur- und Krisenbewältigungspakete im laufenden Jahr mit rund 105 Milliarden Euro zu Buche schlagen, fallen 2021 bei der Fortschreibung und Umsetzung neuer Maßnahmen weitere 34 Milliarden Euro an – immer vorausgesetzt, die Wirtschaft erholt sich langsam und es braucht nicht einen weiteren Corona-Lockdown. Dem Haushalt liegt die Annahme zugrunde, dass das Wirtschaftswachstum kommendes Jahr 4,4 Prozent beträgt. „Das Vor-Krisen-Niveau dürfte im ersten Halbjahr 2022 erreicht werden“, heißt es im Ministerium.
Rente als größter Ausgabenposten
Der größte „normale“ Posten im neuen Bundeshaushalt werden wieder die Leistungen an die gesetzliche Rentenversicherung mit rund 106,1 Milliarden Euro im Jahr 2021 sein. Die Verkehrsinvestitionen steigen im Jahr 2021 auf rund 18,6 Milliarden Euro. Im Finanzministerium hieß es mit Blick auf Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dazu: „Das wird eine sportliche Aufgabe für ihn werden, das alles auszugeben.“
Der Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler vermisst mehr „klare und dauerhafte Investitionszusagen in Klimaschutz und Digitalisierung“. Es fehle auch ein Konzept, um die Innenstädte mit ihrer Vielfalt an Geschäften und Lokalen zu erhalten. „Soloselbstständige, Veranstaltungswirtschaft, zu viele Branchen und Bereiche fallen durch das Raster der Hilfsprogramme“, moniert Kindler.
„Olaf Scholz fehlt eine Investitionsstrategie für die Zukunft. Es ist fast dem Zufall überlassen, wohin die Investitionen gehen.“ Das Prinzip, Hauptsache Geld ausgeben, mag zwar erstmal ökonomisch stabilisieren, „aber fit für die Zukunft macht das nicht.“
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