Europäische Union: Brüssel sieht jetzt London am Zug
Offiziell will die EU Großbritannien nicht noch mehr Zeit einräumen. Das ändert sich erst, wenn London Neuwahlen oder ein neues Referendum beschließe.
Lediglich hinter den Kulissen wird in der Europäischen Union über eine Verschiebung des britischen Austrittstermins diskutiert. Offizielle Linie von EU-Verhandlungsführer Michel Barnier ist es nach der britischen Ablehnung des Deals mit der EU weiterhin, London nicht über den 29.März hinaus noch mehr Zeit einzuräumen, weshalb die EU auch ihre Notfallpläne für einen ungeordneten Brexit weiter vorantreibt. Es sei anderthalb Jahre und damit genug verhandelt worden, heißt es in EU-Kreisen. Eine neue Lage gebe es erst, wenn in London Neuwahlen oder ein neues Referendum beschlossen werde. Dann sei es denkbar, das Brexitdatum um sechs bis acht Wochen zu verschieben.
Einen größeren zeitlichen Spielraum erlauben die Europawahlen vom 23. bis 26.Mai nicht. An dieser Abstimmung wird Großbritannien nicht mehr teilnehmen. Das bedeutet: Wenn sich die neu gewählten Europaabgeordneten Anfang Juli in Straßburg zur ersten Sitzungswoche einfinden, muss Großbritannien die EU verlassen haben. Elmar Brok (CDU) verdeutlichte, dass es da keine Kompromisse geben kann: „Andernfalls würden britische Abgeordnete zwangsläufig mit darüber entscheiden dürfen, wen das Parlament als EU-Kommissionspräsident vorschlägt, um sich dann womöglich mit dem wenige Wochen später vollzogenen Brexit endgültig aus dem Staub zu machen. Das ginge nicht.“
Manfred Weber (CSU): "Bitte, bitte, bitte sagt uns, was ihr erreichen wollt"
Barnier und andere Redner in der Debatte haben bereits deutlich gemacht, dass das Austrittsabkommen und die Absichtserklärung zu den künftigen Beziehungen nicht das letzte Wort Brüssels sein müssten. Sie seien vielmehr ein Kompromiss zwischen London und Brüssel, der sich an den roten Linien orientiert habe, die die britische Premierministerin für die Verhandlungen eingezogen. Sollten die roten Linien von der britischen Regierung anders gezogen werden, sei die EU jederzeit bereit, ihre Position zu verändern.
Noch deutlicher wird Elmar Brok (CDU), dienstältester Abgeordneter in Straßburg und Brexitbeauftragter des Parlaments: May, so seine Analyse, sei nicht dazu in der Lage, eine konstruktive Lösung vorzuschlagen. Er fordert Labour-Chef und Oppositionsführer Jeremy Corbyn auf, im britischen Parlament „eine Mehrheit für den Verbleib Großbritanniens in der Zollunion mit der EU zu organisieren“.
Auch Manfred Weber (CSU), Spitzenkandidat der europäischen Christdemokarten für die Europawahl, sieht London am Zug: „Der Ball ist im Feld von Großbritanniens Parlament.“ Sämtliche 27 Regierungen der EU-Mitgliedstaaten haben den Vertrag gebilligt, lediglich das britische Unterhaus sage „Nein“. Nun müsse das Unterhaus Farbe bekennen: „Bitte, bitte, bitte sagt uns, was ihr erreichen wollt.“ Sowohl Weber als auch Barnier machen aber deutlich, dass die EU auch in der verfahrenen Lage eines drohenden chaotischen Austritts nicht zu großen Konzessionen bereit ist.