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Westminster spielt mit - ein Blick auf Big Ben und die Churchill-Statue.
© AFP

Großbritannien: Brexit nicht ohne das Parlament

Warum das Oberste Gericht Großbritanniens den Brexit-Alleingang der Regierung gestoppt hat - und was das für den weiteren Austrittsprozess bedeutet. Eine Analyse.

„We want our country back“ – das war der Slogan der Brexit-Kampagne vor dem Referendum im Juni. Die Befürworter wollten ihr Land zurück, es befreien aus den angeblich so undemokratischen Fängen der Europäischen Union. Das Parlament in Westminster sollte die Geschicke Großbritanniens wieder allein bestimmen können. Doch zeigte sich schnell, dass das offenbar für ein Thema nicht gelten sollte: dem Austritt aus der EU. Die konservative Regierung beschloss, dass allein die Regierung den Austrittsantrag beschließen und stellen soll.

Damit wäre auch die parlamentarische Mitbestimmung des gesamten Verhandlungsprozesses mit der EU eingeschränkt worden. Premierministerin Theresa May wollte so absichern, dass ihre Verhandlungslinie nicht durch Vorstöße aus dem Parlament gestört würde. Die Brexit-Hardliner unter den Konservativen sahen das als Garantie, dass ihre Vorstellungen umgesetzt würden. Denn die Mehrheit der Abgeordneten aller Parteien war im Juni gegen den Brexit, und diese Mehrheit befürwortet weiterhin eine möglichst enge wirtschaftliche Anbindung an die EU.

Der Supreme Court, das höchste britische Gericht, hat nun in seinem Urteil vom Dienstag die Rechte des Parlaments nachhaltig gestärkt – die Entscheidung der Vorinstanz wurde bestätigt. Der Vorsitzende Richter David Neuberger sagte, das Parlament nicht zu befragen, sei wie „ein Bruch mit bewährten Verfassungsprinzipien, die Jahrhunderte zurückreichen“. Die prominenteste Klägerin gegen das Vorgehen von Mays Kabinett, die Fondsmanagerin Gina Miller, reagierte erleichtert und ermutigt: Es sei nicht ihr Sieg, sondern ein Sieg „unserer Verfassung, unserer Gesetze und unseres Lebensstils“, schrieb sie im „Guardian“.

Kein königliches Vorrecht für May

Mays Kabinett hatte sich darauf berufen, dass ein uraltes königliches Vorrecht ihm die Möglichkeit gebe, das Parlament bei den Verhandlungen mit der EU zu umgehen. Das gelte in diesem Fall aber nicht, urteilte das Gericht mit acht zu drei Stimmen. Zwar könne die Regierung internationale Verträge auch ohne die Zustimmung des Parlaments ändern, aber nicht, wenn diese direkt auch Bürgerrechte beträfen. Das britische EU-Beitrittsgesetz von 1972 war ebenfalls vom Parlament beschlossen worden. Seither hat Großbritannien auf Basis dieses Gesetzes permanent EU-Recht übernommen, das auch neue Bürgerrechte schuf, etwa beim Verbraucherschutz oder im Arbeitsrecht. Daher muss dem Urteil nach auch der Austritt parlamentarisch beschlossen werden.

Die konservative Regierung reagierte zwar mit Bedauern. Aber ihre Niederlage war absehbar. Aus dem Grund hatte May schon im Dezember eine Abstimmung im Unterhaus über den Brexit-Fahrplan anberaumt. In ihrer programmatischen Rede in der vorigen Woche kündigte sie zudem an, dass das Parlament am Ende über die Vereinbarungen mit der EU abstimmen werde. In der Zeit dazwischen können die Abgeordneten nun permanent einfordern, über den Fortgang der Verhandlungen informiert zu werden – und damit Einfluss nehmen. Das durchkreuzt Mays ursprüngliche Strategie, so wenig wie möglich öffentlich zu machen, um die nötige Flexibilität zu haben, den von ihr angestrebten „besten Deal“ zu erreichen. Andererseits aber macht es sie freier gegenüber den Brexit-Hardlinern – deren innerparteilicher Druck wird aufgewogen. Die Befürworter eines „weichen“ Brexits bei den Tories, Labour, den Liberaldemokraten und den schottischen Nationalisten im Unterhaus können nun Gegendruck aufbauen.

Kann März-Termin gehalten werden?

May hatte angekündigt, den Austrittsantrag im März zu stellen. Das kann gehalten werden, wenn sie zügig einen Entwurf des Austrittsgesetzes vorlegt. In London wird erwartet, dass es nur wenige Worte beinhalten werde. Labour-Chef Jeremy Corbyn strebt an, in dem kurzen Gesetzgebungsverfahren einige Zusätze unterzubringen: zollfreier Zugang zum EU-Binnenmarkt (ein Vorhaben, das auch in Mays Rede anklang), eine Garantie der EU-Arbeitnehmerrechte, kein Steuerdumping und ein Parlamentsvotum vor Ende der Austrittsverhandlungen.

Die Labour-Fraktion wird mehrheitlich für den Austrittsantrag stimmen. In vielen Labour-Wahlkreisen gab es große Mehrheiten für den Brexit, auch wenn die meisten Abgeordneten ihn ablehnten. Nun sucht die völlig verunsicherte Partei nach einem neuen Kurs, und der heißt vorerst „Brexit soft“. Der Chef der Liberaldemokraten, Tim Farron, versucht derweil die Austrittsgegner hinter seine Partei zu bringen. Die will dem Austrittsantrag nur zustimmen, wenn ein Referendum über das Ergebnis der Brexit-Verhandlungen zugesagt wird. Was May aber nicht tun wird.

Dass das Gericht auch urteilte, die drei Regionalparlamente in Schottland, Wales und Nordirland müssten „nicht konsultiert“ werden, macht May die Sache zwar einfacher. Denn vor allem die Schotten sind EU-freundlich und hätten May Schwierigkeiten gemacht. Auch die Nordiren fürchten um die in den vergangenen Jahrzehnten erreichten Verbesserungen im Verhältnis zur Republik Irland. Andererseits dürfte nun die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon von der SNP erst recht ein zweites Unabhängigkeitsreferendum für ihren Landesteil anstreben. Dessen Ausgang würde auch davon abhängen, was May mit der EU aushandelt. Die Premierministerin will aber unbedingt das Königreich zusammenhalten.

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