Gewandelt oder geheuchelt?: Brasiliens Staatschef Bolsonaro präsentiert sich als Klimaschützer
Jair Bolsonaro hat versprochen, etwas gegen die Zerstörung des Amazonaswaldes tun zu wollen – gegen Milliardenzahlungen. Kritiker glauben ihm nicht.
Verblüfft kommentierte Brasiliens zweitgrößte Zeitung, „O Globo“ den Auftritt von Staatschef Jair Bolsonaro beim Klimagipfel, zu dem US-Präsident Joe Biden geladen hatte: „Er erzählt den Führern der Welt die gleichen Dinge, die er seinen Fans auf Whatsapp verkauft.“
Circa sechs Minuten sprach Bolsonaro auf dem virtuellen Treffen vor Wochenfrist, an dem 40 Regierungschefs teilnahmen. Zum allgemeinen Erstaunen betonte er, wie stark seine Regierung sich dem Klimaschutz verpflichtet fühle. Derselbe Bolsonaro wollte noch vor zwei Jahren aus dem Pariser Klimaabkommen austreten und machte einen Mann zum Außenminister, der den Klimawandel als „kulturmarxistisches Komplott“ bezeichnete. In seiner Amtszeit hat Bolsonaro von „scheiß Bäumen“ geredet, er hat behauptet, dass es keine Feuer im Amazonas gebe und dann NGOs beschuldigt, die Brände zu legen. Brasiliens Ureinwohner hat er „Zootiere“ genannt, ihre Reservate will er unter Bruch der Verfassung zur wirtschaftlichen Ausbeutung öffnen. Zudem zirkuliert ein Gesetzestext, der illegale Landaneignungen im Amazonas rückwirkend legalisieren soll.
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Allerdings haben sich die Zeiten gewandelt, was auch Bolsonaro spürt. Im Weißen Haus sitzt Joe Biden, der Tempo macht beim Klimaschutz; und in Brasilien drängt die Agrarindustrie darauf, dass die Regierung das Image des Landes verbessert. Brasilien dürfe nicht länger als Umweltbösewicht gelten. Es schade dem Export.
In seiner Rede präsentierte Bolsonaro sich daher als einer, der verstanden hat. Er versprach, dass Brasilien bis 2030 die illegale Abholzung im Amazonas beenden werde. Zu diesem Ziel verpflichtete Brasilien sich zwar bereits 2009 auf dem Kopenhagener Klimagipfel. Aus Bolsonaros Mund wirkte es dennoch wie eine kleine Sensation.
Der Amazonasdschungel – oft als „grüne Lunge der Welt“ bezeichnet, weil er angeblich unseren Sauerstoff produziert, was nicht stimmt – ist die größte terrestrische CO2-Senke und regelt den Wasserhaushalt Südamerikas. Dennoch wird er seit Jahrzehnten abgeholzt. Brasilien steht im Fokus weil die Zerstörung hier besonders schnell voranschreitet. Hauptgrund für die Abholzung ist die Schaffung von Weideflächen für Rinder sowie von Feldern für den Anbau von Soja, das als Masttierfutter nach Asien, in die USA und die EU exportiert wird. Es ist auch unser Fleischkonsum, der die Abholzung vorantreibt.
Rund die Hälfte der brasilianischen CO2-Emmissionen stammt aus der Abholzung des Dschungels
Brasiliens Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß beträgt zwar nur drei Prozent, der Energiemix des Landes gehört zu saubersten der Welt. Aber rund die Hälfte der Emissionen stammt aus der Abholzung des Dschungels. Dass es in der Lage ist, diese Zerstörung signifikant zu reduzieren, hat Brasilien in der Vergangenheit bewiesen. Zwischen 2005 und 2012 sank die Entwaldung auf ihre niedrigsten Werte, weil Kontrollorgane wie die Umweltpolizei Ibama gestärkt wurden, die anhand von Satellitenbildern Jagd auf illegale Holzfäller machten und Strafen verhängten.
Bolsonaro und sein umstrittener Umweltminister Ricardo Salles haben genau diese Behörden geschwächt. Sie haben ihnen Gelder, Personal und Kompetenzen gestrichen und wichtige Posten mit fachfremden Militärs besetzt. Salles hatte sogar die Chuzpe, kurz vor dem Klimagipfel die Rückgabe Zehntausender mutmaßlich illegal geschlagener Baumstämme an die Holzunternehmer zu verlangen. Sie waren von Brasiliens Bundespolizei beschlagnahmt worden, es war der größte Fund in ihrer Geschichte. Der für die Aktion zuständige Polizeichef antwortete, dass es nicht sein Job sei, mit der Holzmafia zu kooperieren. Er wurde entlassen.
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Die Schwächung der Umweltbehörden ist der Hauptgrund, warum die Abholzung unter Bolsonaro in die Höhe schnellt. Sie erreichte 2020 den höchsten Stand seit 2008 und steigt weiter. Allein in diesem März wurde laut dem Imazon-Institut eine Fläche von der ungefähren Größe Berlins abgeholzt.
Wie wenig den Ankündigungen Bolsonaros zu trauen ist, wurde auch klar, als er sagte, dass er angeordnet habe, das Budget für die Umweltbehörden zu verdoppeln. Nur einen Tag später wurde es um 35 Prozent zusammengestrichen. Besonders von den Kürzungen betroffen: das Wald-Monitoring, die Umweltpolizei Ibama sowie die Feuerbekämpfung.
Das eigentliche Kalkül hinter Bolsonaros scheinbarer Kehrwende wurde deutlich, als er Milliardenzahlungen der internationalen Gemeinschaft verlangte. Brasilien bräuchte das Geld für den Waldschutz und die wirtschaftliche Entwicklung im Amazonas. Dabei war es seine Regierung, die 2019 das vorläufige Ende des Amazonas-Fonds provoziert hatte. In diesen hatten vor allem Norwegen aber auch Deutschland ab 2008 rund 1,2 Milliarden Dollar eingezahlt. Das Geld war allerdings an Ergebnisse geknüpft und nicht an Ankündigungen.