Grünen-Streit um Flüchtlinge: Boris Palmers Provokation
Der Zuzug von Flüchtlingen muss gestoppt werden, fordert der OB von Tübingen. Spielt er deshalb auf der "rechten Klaviatur", wie Parteifreunde warnen?
Die Hüter der reinen Lehre empfehlen Boris Palmer schon den Parteiaustritt. "Wenn man Positionen der CSU vertritt, sollte man vielleicht auch über einen Eintritt nachdenken", schrieb ein Sprecher der Grünen Jugend zu den Thesen des Parteifreunds. Der grüne Realpolitiker und Tübinger Oberbürgermeister hat den Zorn vieler Parteifreunde auf sich gezogen, weil er ein Ende des Zustroms von Flüchtlingen fordert. Er spiele auf der "rechten Klaviatur" und wolle sich bloß "den nächsten Talkshowauftritt sichern", kritisierten grüne Bundestagsabgeordnete.
Doch der Kommunalpolitiker lässt sich nicht beirren, er ist sicher: Derart hohe Zugangszahlen von Flüchtlingen überfordern auf Dauer die Kommunen. Zelte für 1000 Flüchtlinge wolle das Land Baden-Württemberg in Tübingen aufbauen, doch schon die Zelte fehlten, klagt er. Abhilfe sieht er nicht, es gebe keinen Hinweis, dass die Zahlen demnächst sinken.
Die Öffnungspolitik der Kanzlerin, die weite Teile seiner Partei frenetisch feiern, hält er für falsch. Angela Merkels Verzicht auf jeden Versuch, den Zuzug in die Republik zu steuern, versteht er nicht. "Der einzige Staat, der die Kontrolle über die Zuwanderung verloren hat, ist Deutschland", warnt er. Das Versäumnis werde die Kommunen in ein bis eineinhalb Jahren "mit voller Wucht treffen".
Wer als Politiker nicht über die Probleme der Flüchtlingskrise redet, so ist der Grünen-Politiker überzeugt, stärkt die Rechtsextremen: Die Debatte über die Schwierigkeiten, die jeder sehe, müsse in die Mitte der Gesellschaft geholt werden, "damit nicht die Rattenfänger profitieren". In der jüngsten Allensbach-Umfrage könnte Palmer Belege für seine Thesen finden. Demnach glaubt eine Mehrheit, dass die Politik die Risiken der Flüchtlingskrise unterschätzt. Sogar 41 Prozent der Grünen-Anhänger fordern eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen.
Die Mahnung des Grünen-Vordenkers Ralf Fücks, wonach in der Flüchtlingskrise reine Gesinnungsethik "wohlfeil" sei und sich moralische Politik in der Praxis beweisen müsse, dürfte auch Palmer gefallen. Allerdings bemüht sich der Provokateur nicht, Mehrheiten für seine Überzeugungen zu sammeln. Stattdessen treibt ihn sein Temperament dazu, mit steilen Thesen immer wieder jene Teile der Partei herauszufordern, die er für realitätsfern hält. Dass mancher ihn auf Facebook deshalb als "grüne Pegida" beschimpft, wird er da wohl verschmerzen.
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