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Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen, hat etwas gegen Störenfriede.
© Christoph Schmidt/dpa

Rassismus, Recht und Ethik: Boris Palmers Irrtum über den Frieden

Tübingens Bürgermeister erzählt, wie sehr ihn schwarze Asylbewerber nerven - und bietet das Beispiel eines Politikers, der seine Aufgabe verfehlt. Ein Kommentar.

In einem Interview mit dem „Schwäbischen Tagblatt“ erzählte Tübingens grüner Oberbürgermeister kürzlich von einem schwarzhäutigen Radfahrer, der ihn in der Ulmer Fußgängerzone „fast umgenietet“ hätte. Damit begann er eine umfängliche Betrachtung von Asylbewerbern im öffentlichen Raum, die sich zuweilen störend verhielten. Oder anders: Dass einer, der stört, oft oder meist ein (junger, männlicher) Asylbewerber sei. Er erzählte, „wie arabische oder schwarze Männer Bahnhof oder Stadtpark für sich beanspruchten, und er, Palmer, sich „an den Rand gedrängt“ fühle. Seine Vermutung, dass es Asylbewerber seien, die sich „so aufdringlich und unverschämt verhalten“, habe bisher immer gestimmt. „Die einen nennen es rassistisch“, so Palmer. „Ich nenne es menschlich.“

Menschlich findet Palmer seine Schlussfolgerungen, weil sie „ehrlich“ sind. Menschen ordneten Mitmenschen ein, um sich zurechtzufinden. Er rechnet den Anstieg Ulmer Einwohner gambischer Herkunft vor, von sieben auf 115 in fünf Jahren. Er kombiniert und summiert: „Dieser Störenfried war mit mindestens 95 Prozent Wahrscheinlichkeit ein Asylbewerber.“ Palmer spricht von Logik. Er beruft sich auf Immanuel Kant. Schweigen, so lautet nicht nur Palmers Theorie, bestärkt Rassismus.

Ist Palmer ein Rassist? Wenn rassistische Reden geschwungen werden, wird nach dem Strafrecht gerufen. Der Tatbestand der Volksverhetzung schützt Minderheiten vor Hass und Hetze. Palmer hasst und hetzt nicht. Interessant aber ist das eigentliche Schutzgut der Norm, der öffentliche Friede. Aufgabe der Justiz ist es, zu ahnden, wenn dieser Friede verletzt oder gefährdet wird. Aufgabe von Politikern ist es, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen. Sie sollen den öffentlichen Frieden erhalten.

Damit erübrigt sich die Frage, ob Palmer ein Rassist ist. Die wichtigere ist, ob und wie er mit Statements wie diesem zum öffentlichen Frieden beiträgt. Palmer glaubt, mit klaren Worten Pegida und AfD schwächen zu können. Genauso möglich ist: dass solche Äußerungen Konflikte verschärfen.

Wie soll man sich verhalten? Palmer könnte es mit seinem Kant versuchen, der dazu aufforderte, so zu handeln, dass man von der Maxime des eigenen Handelns wollen kann, dass sie allgemeines Gesetz wird. Urteile, Vorurteile und schlechte Erfahrungen mit mutmaßlichen Asylbewerbern anzuprangern wäre dann wohl die Aufgabe eines jeden moralisch handelnden Politikers. Täglich, im Internet, in Talkshows. Schwarze, die stören, Afrikaner, die nerven. Niemand hasst, niemand hetzt. Volksverhetzung wäre das keine, dafür ein Sieg über das, was Leute wie Palmer als verlogene politische Korrektheit kritisieren. Aber was hätten wir verloren? Und was würden wir riskieren? Vielleicht den Frieden?

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