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Die Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland haben seit dem Brexit wieder zugenommen.
© dpa

Ein Jahr nach dem EU-Austritt: Boris Johnson lobt sich für den Brexit

Ein Jahr nach dem Brexit lobt sich Premierminister Boris Johnson selbst. Doch Großbritanniens Probleme durch den EU-Austritt wachsen.

Die Jahreswende erinnert die Briten an ein einstiges Aufreger-Thema. Ein Jahr nach dem endgültigen Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion der EU treten neue Zollkontrollen in Kraft, Vertreter der Exportwirtschaft beider Seiten hoffen auf möglichst große Nähe durch pragmatische Lösungen. Ganz anders die Regierung von Boris Johnson: Im neuen Jahr werde man „weiter und schneller“ vorankommen bei der Umsetzung von Vorteilen, die dem Land durch den Brexit erwachsen, lobt sich der Premierminister selbst. Ob tatsächlich die „miese Übergangsphase“ (rotten halfway house) bald endet, von der das Wirtschaftsmagazin „Economist“ spricht?

Im vergangenen Jahr, in dem die EU bereits jene Zollkontrollen anwandte, die das Königreich erst jetzt umsetzt, schrumpfte der Export britischer Nahrungsmittel nach Irland und auf den Kontinent um ein Viertel. Bei kleinen Spezialfirmen betrug die Einbuße sogar 70 Prozent. Ähnlich stark dürften nun auch Importeure französischen Käses und spanischen Schinkens betroffen sein, befürchtet der Fachverband CCF, in dem sich Kühltransportfirmen zusammengeschlossen haben. Wer weiterhin im Handel zwischen Großbritannien und dem Kontinent aktiv ist, muss zudem höhere Kosten hinnehmen. Die Zollabfertigung kostete die Unternehmen ein Viertel mehr als 2019.

Die Briten haben allerlei Handelsverträge abgeschlossen, darunter auch mit der Schweiz sowie Australien und Neuseeland. Während ersterer vor allem den status quo festschrieb, stellten die beiden letztgenannten die Eintrittskarte für Großbritanniens Zugang zur transpazifischen Freihandelszone CPTPP dar, schwärmt Johnson. Auf Eis liegt der hochbegehrte Freihandelsvertrag mit den USA. US-Präsident Joe Biden und die mächtige irische Lobby im Kongress haben mehrfach signalisiert: Solange Londons gefährliche Schaukelpolitik den Frieden in Nordirland gefährdet, kommt ein bevorzugter Zugang zum US-Markt für die Briten nicht infrage.

Die Situation um Nordirland ist ungeklärt. Das sogenannte Protokoll sollte der besonderen Geschichte und Geografie des britischen Nordteils der irischen Insel gerecht werden, nämlich einerseits die Landgrenze zur Republik im Süden offenhalten und andererseits die territoriale Integrität des Königreiches wahren. Anstatt das pragmatisch zu handhaben, haben sich beide Seiten monatelang in Detailverhandlungen über Lebensmittelkontrollen verbissen.

Großbritannien ist beim Brexit immer noch gespalten

Die Einstellung der Briten zum Brexit hat sich kaum verändert. „Das Land war 2016 in der Mitte gespalten“, sagt Politikprofessor John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Universität. „Und es ist immer noch gespalten.“ Beim Referendum wollten 48,1 Prozent der Briten in der EU bleiben. Heute beantworten sie die Frage nach dem Verbleib oder einer etwaigen Neubewerbung im Durchschnitt zu 51 Prozent mit Ja, also innerhalb des statistischen Irrtumsfaktors. Ein klares Bekenntnis zu Europa sähe anders aus.

Routinemäßig fragen Demoskopen auf der Insel nach den wichtigsten Themen, die den Menschen wichtig sind. Zwischen 2016 und 2019 stand dabei der EU-Austritt stets an der Spitze oder belegte Platz zwei. In den vergangenen beiden Jahren wurde er von den üblichen Aufregern, vor allem der Gesundheitsversorgung und der Ökonomie, abgelöst. Im Umfeld der UN-Klimakonferenz COP26 schaffte es im November sogar die Umwelt aufs Podest.

Auch die jüngsten Wahlen deuten auf größere Normalität hin. Dabei profitierten Johnsons Konservative vom erfolgreichen Covid-Impfprogramm, in Schottland wurde die Nationalistin Nicola Sturgeon als Ministerpräsidentin bestätigt. Der Brexit spielte dabei nur am Rand eine Rolle.

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