Terrorverdacht in Hessen: Bombenfund bei Ehepaar - Hobbyfahrer trotz Absage auf Radrennstrecke
Die Polizei hat bei einem Ehepaar aus der salafistischen Szene eine funktionsfähige Rohrbombe entdeckt. Das traditionelle Frankfurter Radrennen am 1. Mai wurde daraufhin abgesagt. Der Mann hatte die Strecke auskundschaftet. Ungeachtet der Rennabsage gingen Hobbyfahrer unter Polizeibegleitung auf die Strecke.
Die hessische Polizei hat einen islamistischen Anschlag vereitelt. Ein Einsatzkommando nahm in der Nacht zum Donnerstag in Oberursel ein Ehepaar fest. Die Beamten stellten im Keller des Hauses, in dem das Paar wohnt, eine funktionsfähige Rohrbombe, ein zerlegtes Sturmgewehr, 100 Patronen des Kalibers neun Millimeter sowie ein Übungsgeschoss für eine Panzerfaust sicher.
Mit dem Zugriff wollte die Polizei offenbar verhindern, dass das am 1. Mai im nahen Frankfurt geplante, traditionelle Radrennen "Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt" (bis 2008 bekannt als "Rund um den Henninger Turm") angegriffen wird.
Am Donnerstagabend erließ das hessische Landeskriminalamt (LKA) wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat Haftbefehl gegen das Ehepaar. Das bei dem Paar sichergestellte Material sei geeignet, eine Vielzahl von Menschen zu töten oder zumindest schwer zu verletzen. Es sei nach wie vor unklar, ob das Ehepaar alleine gehandelt habe, teilte das LKA mit.
Der Mann war in der Nähe der Rennstrecke beobachtet worden
Das Radrennen, das auch durch Oberursel führen sollte, wurde am Donnerstagabend vom hessischen Landeskriminalamt abgesagt. Der Grund seien Hinweise auf eine eventuelle Gefährdung der Bevölkerung. Der beschuldigte Mann sei in den vergangenen Tagen auf Parkplätzen und im Wald entlang der Rennstrecke von Oberursel auf den Feldberg beobachtet worden, sagte der Leiter der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Albrecht Schreiber. Deshalb habe sich die Polizei zum Zugriff entschlossen.
Zwar sei ein geplantes Anschlagsziel weiterhin nicht bekannt. „Allerdings gab es deutliche Überschneidungen von Streckenverlauf des Radrennens und Bewegungsprofil der festgenommen Personen“, hieß es einer Mitteilung des LKA.
Trotz der Absage gingen etliche Hobbyfahrer auf die Strecke, die von der Polizei überwacht wurde.
Seit Mitte April läuft ein Ermittlungsverfahren gegen das Ehepaar
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte im Landtag in Wiesbaden, es gebe den Verdacht eines salafistischen Hintergrunds. Nach Angaben von Schreiber lief seit Mitte des Monats ein Ermittlungsverfahren gegen das Ehepaar. Es handelt sich um einen 35 Jahre alten Deutsch-Türken und seine ein Jahr jüngere türkische Ehefrau.
Schreiber bestätigte, dass bei den Verdächtigen drei Liter Wasserstoffperoxid, eine potenziell bombentaugliche Flüssigkeit, gefunden wurden. Außerdem seien eine funktionsfähige Rohrbombe sowie Waffen und Munition und weitere Flüssigkeiten wie Benzin sichergestellt worden. Die Beschuldigten hätten Verbindung zur radikal-islamistischen Szene im Rhein-Main-Gebiet. Nach verschiedenen Observationsmaßnahmen habe sich die Verdachtslage verdichtet, weil sich der Beschuldigte auffällig entlang der Strecke des geplanten Radrennens bewegt habe.
"Ich gehe davon aus, dass wir dadurch einen Anschlag verhindern konnten", sagte Schreiber. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen das Paar wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie der Vorbereitung eines Explosionsverbrechens.
Die Sicherheitsbehörden befürchteten offenbar einen Anschlag, wie er im April 2013 in Boston geschah. Dort explodierten während des jährlichen Stadtmarathons zwei Sprengsätze, die in Rucksäcken versteckt waren. Drei Menschen starben, 264 wurden verletzt. Angesichts der Gefährlichkeit von Sprengkörpern mit Wasserstoffperoxid zog die Frankfurter Polizei sogar Vergleiche zu den Anschlägen von Madrid. Dort kamen im März 2004 bei einer Serie von Bombenexplosionen in Vorortzügen 191 Menschen ums Leben, 2051 erlitten Verletzungen.
Baumarkt-Mitarbeiterin gab Hinweis
Der Polizeipräsident der Polizei Westhessen, Stefan Müller, wies darauf hin, dass die Polizei durch einen Hinweis einer Baumarkt-Mitarbeiterin auf die Beschuldigten aufmerksam geworden sei, da diese drei Liter und damit eine unüblich große Menge Wasserstoffperoxid gekauft hätten. Dabei hatten sie falsche Personalien angeben, wie sich dann herausstellte. Die Polizei habe eine Weile gebraucht, um die Personen zu identifizieren.
In Sicherheitskreisen hieß es am Donnerstag, dass das mutmaßlich salafistische Ehepaar Halil und Senay D. von der Polizei observiert wurde. Der Mann soll ein Chemie-Student sein. Mit Wasserstoffperoxid wollte die im Jahr 2007 aufgeflogene Sauerlandgruppe Bomben bauen, um Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen in Deutschland zu verüben. Halil D. soll Kontakte zur Terrorzelle unterhalten haben.
Hessen gilt als eine Hochburg der salafistischen Szene in Deutschland
Es bleibt allerdings offen, ob das Ehepaar auf eigene Faust handelte oder in Verbindung zu einer terroristischen Vereinigung stand. In Medienberichten ist von Al Qaida die Rede, das wurde von Sicherheitsexperten bislang nicht bestätigt. Halil und Senay D. hätten jedenfalls Kontakte zur salafistischen Szene in Frankfurt, hieß es. Auch die Polizei und die Staatsanwaltschaft Frankfurt hielten sich mit Angaben zur Frage, ob es sich um potenzielle Einzeltäter handele oder um eine Zelle zurück. Die Bundesanwaltschaft prüft den Fall, hatte aber bis Donnerstagabend die Ermittlungen noch nicht übernommen. Gäbe es belastbare Hinweise auf eine Verbindung zu Al Qaida, der Terrormiliz "Islamischer Staat" oder einer anderen einschlägig bekannten Organisation, hätte Generalbundesanwalt Harald Range vermutlich schon interveniert.
Am Donnerstag waren zudem hunderte Polizisten im Einsatz, um die Radrennstrecke nach möglichen weiteren Hinweisen auf einen Anschlag abzusuchen. Bis zum Nachmittag seien keine weiteren Beweismittel gefunden worden.
Hessen gilt als eine der Hochburgen des salafistischen Spektrum. In Frankfurt gab es zudem den bislang einzigen islamistischen Anschlag in Deutschland, bei dem Menschen getötet wurden. Im März 2011 erschoss der Kosovare Arid Uka am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzte zwei weitere schwer. Im Dezember 2000 nahm die Polizei gerade noch rechtzeitig eine Gruppe algerischer Islamisten fest, die einen verheerenden Anschlag mit einer Nagelbombe auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg vorbereitet hatte. Im März 2013 verbot der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den in Frankfurt ansässigen Salafistenverein Dawa FFM (das Kürzel stand für Frankfurt/Main) und seine Jugendorganisation Dar al Schabab. Auslöser war die Agitation von Dawa FFM nach den Krawallen von Salafisten im Mai 2012 in Solingen und Bonn. Dawa FFM rechtfertigte die Ausschreitungen und drohte, zu weiterer Gewalt aufzurufen.
Vor vier Wochen schließlich erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen den Deutschmarokkaner Soufiane K., den die Polizei im Oktober 2014 in Frankfurt festgenommen hatte. Der Mann soll sich von September 2013 bis Juni 2014 in Syrien bei der Terrororganisation Jabhat an Nusra aufgehalten haben. Die Miliz zählt zum Spektrum von Al Qaida und hat im syrischen Bürgerkrieg bereits gut 1.500 Anschläge verübt, bei denen mehr als 8.700 Menschen starben. Eine Verbindung zwischen dem Ehepaar aus Oberursel und Soufiane K. gebe es nach bisherigem Kenntnisstand nicht, hieß es in Sicherheitskreisen.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat den Polizeieinsatz gegen zwei Terrorverdächtige in Hessen gelobt. „Die heutige Festnahme in Hessen ist Beleg für die effektive Arbeit der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern“, sagte de Maizière am Donnerstag in Berlin. Das Vorgehen zeige: „Wir sind wachsam und wir sind wehrhaft.“ Es gebe auch eine gute Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum, in dem alle relevanten Informationen der Sicherheitsbehörden zusammengeführt und bewertet würden. (mit dpa)