Jahrestag von Pegida in Dresden: Böller, Brandreden, Hass
15.000 bis 20.000 Pegida-Anhänger demonstrierten am Montagabend in Dresden, mindestens 15.000 dagegen. Es kam zu mehreren Ausschreitungen. Vizekanzler Sigmar Gabriel nannte Pegida "in Teilen offen rechtsradikal".
- Stephan Haselberger
- Andreas Oswald
- Frank Jansen
- Antje Sirleschtov
Nach den Demonstrationen von Anhängern und Gegnern des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses in Dresden ist die Nacht in der sächsischen Landeshauptstadt ruhig verlaufen. Es habe keine weiteren Auseinandersetzungen gegeben, hieß es von der Polizei am Dienstagmorgen.
Nach der Kundgebung war es am Abend noch zu Ausschreitungen gekommen. Die Lager der Pegida-Anhänger und der linken Gegner stünden sich an verschiedenen Punkten in der Stadt gegenüber, sagte ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur am Montagabend. „Es ist viel Bewegung drin.“
Nach unbestätigten Berichten der „Sächsischen Zeitung“ kam es zu Ausschreitungen von Hooligans und Angriffen von Neonazis. Im Kurznachrichtendienst Twitter kursierten Videos, auf denen zu sehen ist, wie Böller gezündet werden. Wie der Sprecher bestätigte, waren zuvor Polizisten mehrfach gezielt angegriffen worden. Unter den Beamten habe es keine Verletzten gegeben. Reporter der dpa hatten beobachtet, wie Pegida-Anhänger Polizisten mit Böllern angriffen. Drei Menschen wurden in Gewahrsam genommen. Sie müssen sich laut Polizei wegen Körperverletzung und Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz verantworten.
Bei den Auseinandersetzungen zwischen fremdenfeindlichen Demonstranten und Gegenprotestlern ist ein Pegida-Anhänger schwer verletzt worden. Der Mann sei am Montagabend auf dem Weg zur Kundgebung der islamfeindlichen Bewegung am Theaterplatz angegriffen worden, sagte ein Polizeisprecher. Dass dabei eine Eisenstange benutzt wurde, wie es in einem Bericht der „Sächsischen Zeitung“ zunächst geheißen hatte, schloss er aus.
Wer Bachmann und Konsorten nachläuft, wer ""Die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb" Akif Pirinçci minutenlang zuhört, ist nichts anderes als ein Rechtsextremist!
schreibt NutzerIn deberger
Am Theaterplatz feierten nach Schätzungen der Gruppe „Durchgezählt“ rund 15 000 bis 20 000 „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ den ersten Jahrestag ihres Entstehens. An vier Gegendemonstrationen, die aus verschiedenen Richtungen sternförmig in die Altstadt zogen, nahmen demnach mindestens 15 000 Menschen teil. Bundesjustizminister Heiko Maas hat sich erleichtert über die große Zahl an Demonstranten gegen das fremdenfeindliche Pegida-Bündnis in Dresden gezeigt. „Deutschland ist bunter als die Schwarzmaler von Pegida uns vormachen wollen“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Straße dürfe nicht den Hetzern von Pegida überlassen werden, sagte Maas. „Es ist ein wichtiges Signal, dass so viele Menschen für Weltoffenheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind“, fügte er an. „Sie setzen ein klares Zeichen."
Vizekanzler Sigmar Gabriel verurteilte die Bewegung mit deutlichen Worten: „Pegida ist eine rechtspopulistische und in Teilen offen rechtsradikale Empörungsbewegung geworden“, sagte der SPD-Chef der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstag). „Die Protagonisten stellen inzwischen sogar die Grundlagen der Demokratie infrage, indem sie diese Demokratie mit den Kampfbegriffen der NSDAP in der Weimarer Republik als „Altparteien-Demokratie“ und die Parlamente als „Quasselbude von Volksverrätern“ umzudeuten versuchen und die Medien als „Lügenpresse“ denunzieren.“
Auseinandersetzungen zwischen Pegida-Anhängern und Gegendemonstranten
Die angespannte Situation hat sich in Rangeleien entladen. Dabei wurden auch Böller geworfen, wie ein Polizeisprecher sagte. Wer sie geworfen hatte, war zunächst unklar. Es habe mehrere Angriffe von Gegendemonstranten auf Polizeibeamte gegeben, sagte der Sprecher. Daraufhin hätten die Polizisten Pfefferspray eingesetzt.
In wechselndem Rhythmus skandieren die Anhänger der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ ihre Parolen. „Wir sind das Volk“, brüllen sie, „Merkel muss weg“ oder auch „Abschieben“. Nach dem Anschlag auf die Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker machten Politiker über die Parteigrenzen hinweg Pegida für eine Vergiftung des politischen Klimas und für Gewalt verantwortlich. Bachmann sagt nichts zu Köln. Dafür bieten die selbst ernannten Patrioten rechtspopulistische Politiker aus Tschechien oder Italien auf.
Das breite Bündnis, das unter dem Motto „Herz statt Hetze“ zum Protest gegen Fremdenfeindlichkeit aufgerufen hat, ist erfolgreich. Zuletzt stellten sich längst nicht so viele Menschen Pegida entgegen. Detlev Schranck, der seit vielen Jahren in Dresden lebt, hat von seinem Arbeitgeber für die Demo freibekommen. „Ich schäme mich für Dresden. Weil Pegida hier stattfindet“, sagt er. „Ich finde es gerade zum Einjährigen von Pegida wichtig, gebündelt auf die Straße zu gehen, um zu zeigen, dass wir hier nicht in der Minderheit sind“ sagt der Dresdner Student Stephan Fischer.
An der Kathedrale standen sich laut einem Reporter der Deutschen Presse-Agentur Pegida-Anhänger und Gegendemonstranten in Sicht- und Hörweite gegenüber. Dem Gegenprotest schlossen sich demnach viele Familien mit Kindern und auch Mitarbeiter der Semperoper an. Das Opernhaus löschte am Abend - wie auch andere Dresdner Kultureinrichtungen - das Licht, um Pegida im Dunkeln stehen zu lassen.
Die sächsische Polizei war nach den Worten von Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf einen Großeinsatz vorbereitet. „Wir sind mit mehr als 1000 Beamten im Einsatz, wir haben die Hilfe von sechs Bundesländern und der Bundespolizei“, sagte Ulbig. Man müsse mit mehr als 20 000 Menschen auf den Kundgebungen insgesamt rechnen. Ulbig zeigte sich erfreut über die vielen Gegendemonstranten. Die sächsische Staatsregierung hatte alle Demonstrationsteilnehmer zu Gewaltlosigkeit aufgerufen. Mehrere Mitglieder der Regierung beteiligten sich an den Gegenprotesten.
Die Semperoper empfing das Pegida-Bündnis mit einer elektronischen Leinwand. Im Wechsel hieß es dort: „Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass“ und „Wir sind keine Kulisse für Intoleranz“.
Grünen-Chefin Simone Peter rief bei einer Kundgebung auf dem Altmarkt dazu auf, die Flüchtlinge in Deutschland als Bereicherung zu sehen. „Wir wollen ein weltoffenes Deutschland“, sagte sie. Ein Vertreter der Gruppe „Chemnitz Nazifrei“ erklärte: „Pegida lässt auch andere rechte und rechtsextreme Gruppen erstarken.“ Die Situation für Flüchtlinge und ihre Unterstützer werde immer gefährlicher. Zuvor hatten Politiker über Parteigrenzen hinweg vor Hass in der Asyldebatte gewarnt.
Vor der für Montagabend angekündigten Großdemonstration in Dresden hatten Politiker aller Parteien die Pegida-Bewegung kritisiert. Pegida säe den Hass, der dann zur Gewalt werde, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Der Rechtsstaat werde aber vor Bedrohung und Verhetzung nicht zurückweichen. Maas ergänzte: „Niemand, der bei Pegida mitläuft, wird sich von der Verantwortung frei machen können, darin mitzuwirken, dass Hemmschwellen sinken.“
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte bereits am Vortag erklärt, hinter Pegida steckten „harte Rechtsextremisten“. Sie würden Asylbewerber pauschal als Verbrecher, alle Politiker als Hochverräter bezeichnen. Wer an den Demonstrationen teilnehme, müsse wissen, „dass er Rattenfängern hinterherläuft“.
Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) wies darauf hin, dass „die Art und Weise, wie gerade die Organisatoren von Pegida Hass auf die Straße bringen, in den letzten Tagen gezeigt hat, dass dieser Hass auch in Gewalt umschlagen kann“.
Am Samstag will die AfD vor der Berliner CDU-Zentrale demonstrieren
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt betonte, Stimmungsmache gegen Ausländer und Flüchtlinge hätte nichts mehr damit zu tun, dass Bürger ihre Besorgnis ausdrückten. Nach dem Attentat auf die inzwischen gewählte Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) am Samstag warnte auch der Hauptgeschäftsführer des Städtetags, Stephan Articus, vor einer Radikalisierung der Flüchtlingsdebatte.
Derweil wies ein Sprecher des Innenministeriums darauf hin, dass die Sicherheitsbehörden verstärkt die Pegida-Bewegung und andere „Gida“-Gruppierungen ins Visier nehmen würden. Es gebe Anzeichen, „dass das hetzerische und aggressive Potenzial dieser Veranstaltungen zunimmt“.
Sicherheitskreise widersprechen jedoch dem Eindruck, Pegida in Dresden sei bereits ein Fall für den Verfassungsschutz. Bislang sei in der sächsischen Hauptstadt „kein steuernder Einfluss von Rechtsextremisten“ auf die Bewegung zu erkennen, sagten Experten. Neonazis liefen mit, hätten aber keinen maßgeblichen Einfluss. Außerdem sei Pegida-Anführer Lutz Bachmann bislang nicht wegen Volksverhetzung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen Bachmann Anklage erhoben, nachdem er im September 2014 bei Facebook Flüchtlinge als „Gelumpe“ und „Viehzeug“ bezeichnet hatte. Sicherheitsexperten warnen zudem, angesichts der kürzlich gezeigten Galgen und der gewaltsamen Angriffe auf Journalisten sei eine Radikalisierung von Pegida-Anhängern in Richtung Rechtsextremismus zu befürchten.
Auch bundesweit gibt es bislang offenbar keinen Pegida-Ableger, den eine Verfassungsschutzbehörde als Beobachtungsobjekt ins Visier genommen hat. Das könnte sich womöglich ändern. Bei mehreren „Gida-Trupps“ sei festzustellen, dass Neonazis versuchten, „prägend zu wirken“, hieß es in Sicherheitskreisen. So sei kürzlich bei einer Veranstaltung von „Pegida Franken“ in Würzburg ein Aktivist der Partei „Die Rechte“ als Redner aufgetreten. Die Partei, in der Neonazis verbotener Organisationen aktiv sind, wird vom Verfassungsschutz intensiv beobachtet. Der bayerische Verfassungsschutz schloss auf Anfrage nicht aus, dass es bei Pegida Franken wie auch bei Pegida München „zu einer Neubewertung der Gruppierung“ kommt.
Die Polizei hatte sich auf Auseinandersetzungen mit Linksextremisten vorbereitet. Es seien 400 einschlägig bekannte Personen zu erwarten, hieß es, darunter 200 Autonome aus Leipzig. Die Szene dort gilt als besonders gewalttätig. Offen bleibt hingegen, welche Resonanz ein im Internet kursierender Aufruf rechter Hooligans findet. Dort heißt es, „sämtliche sportliche Banden aus Deutschland“ und „Kameraden“ aus Ungarn, Tschechien und der Schweiz sollten diesen Montag nach Dresden kommen, um Pegida gegen mögliche Angriffe von Linken zu unterstützen.
Die für ihre Kritik an der Aufnahme von Flüchtlingen bekannte AfD fährt indes einen zunehmend aggressiven Kurs. Am Samstag wollen 500 Anhänger vor dem Konrad-Adenauer-Haus, der Berliner CDU-Zentrale, gegen die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) protestieren. Die Demonstration ist unter dem Motto „Gegen Politikversagen. Wirklich Verfolgte schützen, Asylmissbrauch und ungesteuerte Einwanderung beenden“ angemeldet. (mit dpa/AFP)