Satirestreit: Böhmermann-Gutachten bleibt geheim
Das Berliner Verwaltungsgericht sieht eine Stellungnahme der Regierung zur Strafbarkeit des TV-Spaßmachers als Verstoß gegen die Unschuldsvermutung.
Die interne juristische Einschätzung der Bundesregierung zum Fall des TV-Satirikers Jan Böhmermann darf nicht veröffentlicht werden. Das Verwaltungsgericht Berlin stuft den Inhalt des Dokuments als Verstoß gegen die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Unschuldsvermutung ein, falls er bekannt würde. Damit wiesen die Richter einen Eilantrag des Tagesspiegels in Teilen ab, wonach weitere Einzelheiten zu dem Vermerk mitgeteilt werden sollten (Az.: VG 27 L 324.16).
Gegen Böhmermann läuft derzeit ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Böhmermann habe ein „schützenswertes berechtigtes Interesse daran, keiner Vorverurteilung ausgesetzt zu sein“, heißt es in dem Gerichtsbeschluss. Staatlichen Autoritäten sei es untersagt, öffentliche Äußerungen zu tätigen, in denen sie die Schuld eines Beschuldigten unterstellen. Allerdings musste das beklagte Auswärtige Amt (AA) weitere Details zum Zustandekommen des Kurzgutachtens preisgeben.
Demnach hat einer der beiden Staatssekretäre im Auswärtigen Amt am 2. April eine „vorläufige interne Einschätzung zu den juristischen Implikationen“ des von Böhmermann bei „ZDF neo“ vorgetragenen „Schmähgedichts“ auf Erdogan erbeten. An diesem Tag wurden die internationalen Proteste gegen die Ende März ausgestrahlte Sendung heftiger, unter anderem wurde das ZDF-Auslandsstudio in Istanbul mit Eiern beworfen. Drei Vertreter aus dem AA sowie einer aus der Abteilungsleitung für Strafrecht im Bundesjustizministerium setzten sich daraufhin zusammen und verfassten eine als „vertraulich“ eingestufte, lediglich neun Zeilen umfassende Stellungnahme zur Strafbarkeit Böhmermanns nach Paragraf 103 Strafgesetzbuch, der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten. Über die Ergebnisse wurde mutmaßlich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) informiert, zumindest aber das Kanzleramt, das laut Regierung sofort „Kenntnis von entsprechenden Beratungen“ im AA erhalten habe. Am 3. April nannte Merkel das Gedicht in einem Telefonat mit dem damaligen türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu „bewusst verletzend“. Wenig später berichteten deutsche Medien, darunter der Tagesspiegel, über die interne Einschätzung, wonach sich der Satiriker strafbar gemacht habe. Tags darauf, am 8. April, forderte die Türkei in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt ein Strafverfahren gegen Böhmermann. Nicht ausgeschlossen erscheint, dass sich Erdogan erst durch das Bekanntwerden der für ihn positiven Regierungsstellungnahme ermutigt gefühlt haben könnte, Strafantrag gegen den Satiriker zu stellen.
Das AA gibt an, es habe die Einschätzung erstellen lassen, um bei dem Thema „sprech- und verhandlungsfähig“ zu sein. Weshalb dafür allerdings eine Schuldfeststellung zulasten Böhmermanns erforderlich gewesen sein soll, bleibt offen. In welcher Weise diese erfolgt ist, ebenfalls. So ist etwa fraglich, in welchem Rahmen die Ministerien das Grundrecht auf Kunstfreiheit bei ihrer Prüfung berücksichtigt haben. Das Außenministerium meint, es handele sich um ein „veraltetes Dokument“, das für die Berichterstattung über den Fall nicht mehr bedeutsam sei. Es gehöre zudem zum „Kernbereich der Exekutive“ und sei daher dauerhaft geheim zu halten. In dem Prozess vor dem Verwaltungsgericht verwies das AA auch darauf, eine Veröffentlichung würde die vertrauensvollen Beziehungen zur Türkei beschädigen.