Serbien ruft Ärzte aus aus dem Ausland zurück: Bloß nicht zurück in die Heimat
Vor der Coronakrise waren viele Mediziner arbeitslos. Das desolate Gesundheitssystem auf dem Balkan verschärft die Abwanderung von Ärzten und Pflegekräften.
In ihrer Not setzte die serbische Regierung auf die Patriotismuskarte: Wegen „des wachsenden Drucks auf das Gesundheitssystem“ seien alle Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern im Ausland aufgerufen, „mit ihrem Wissen und Erfahrung“ im Kampf gegen das Coronavirus zu helfen. Mit diesem Appell riefen die politisch Verantwortlichen in Belgrad vor zwei Wochen medizinisches Fachpersonal im Ausland zur befristeten Heimkehr auf.
Die meisten der 300 Ärzte, die sich gemeldet hätten, würden aus Deutschland und den USA kommen, vermeldete der Programmdirektor stolz.
Doch tatsächlich stieß der hilflose Hilferuf bei den meisten der rund 10.000 serbischen Ärzte, die im Ausland arbeiten, auf Ablehnung. Die wenigen, die sich meldeten, sind oft Mediziner und Pfleger auf Heimaturlaub. Sie können wegen der geschlossenen Grenzen nicht in ihr Gastland zurückkehren.
Andere ausgewanderte Ärzte reagierten eher verbittert. Der Gesinnungswandel komme „spät“, ärgert sich der in Oldenburg praktizierende Traumatologe Nikola Vukelic. 30 Jahre habe der serbische Staat alles getan, „um die Leute zu vertreiben“, sagte er dem Nachrichtenportal „nova.rs“, „jetzt wäre der richtige Moment, um die arbeitslosen Ärzte dem Gesundheitssystem zuzuführen.“
Tatsächlich verschärft die jahrelange Abwanderung medizinischen Personals die Sorgen der Balkanstaaten in der Viruskrise. Es sind nicht nur weitaus höhere Löhne im Westen, sondern auch die Vernachlässigung des Gesundheitssektors in der Heimat, die viele in die Emigration trieb. Der Exodus der Mediziner und Pflegekräfte aus den Balkanstaaten scheint daher kaum zu stoppen.
Allein in Deutschland hat sich die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitssektor aus den Westbalkanstaaten 2019 um über zwölf Prozent auf mehr als 50.000 erhöht: Die meisten stammen aus Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kosovo. Selbst bei den EU-Mitgliedern Bulgarien, Kroatien und Rumänien ist der Ärzte-Aderlass hoch.
Junge Ärzte verdienen absurd niedrige Gehälter
Nach dem EU-Beitritt 2007 hatten in Rumänien allein bis 2015 über 14.000 Ärzte das Land verlassen – die Zahl der abgewanderten Pflegekräfte wird von heimischen Gewerkschaftern auf das Dreifache geschätzt. Die absurd niedrigen Gehälter von Jungärzten hat Bukarest 2018 von 344 auf 902 Euro netto aufgestockt. Doch im Land mit den geringsten Gesundheitsausgaben der EU halten in der Provinz oft nur noch pensionierte Ärzte das löchrige System leidlich aufrecht.
Trotzdem gibt es auf dem Westbalkan das paradoxe Phänomen hoher Ärzte-Arbeitslosigkeit: In derselben Woche, in der Serbiens Regierung die Auslandsärzte zur Heimkehr aufforderte, waren laut Recherchen des Regionalportals „juzne vesti“ allein in der Region Nis 434 Mediziner arbeitslos.
In Staaten wie Serbien und Bosnien wird Studienabgängern oft die Möglichkeit der Spezialisierung und damit zum Berufszugang verwehrt. „Entweder musst Du in der Partei sein oder irgendeinem korrupten Oberarzt Tausende von Euros in den Hintern schieben“, erklärt der serbische Dialyse-Arzt Andreja Matic, der nach Slowenien ausgewandert ist.
Wegen der Viruskrise hat Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic zwar eine Lohnerhöhung von zehn Prozent für den Gesundheitssektor angekündigt. Doch auch wenn Ärzte und Pfleger nun von Politikern und Medien als „Helden“ gefeiert werden, hat sich in ihrem Berufsalltag nichts verbessert: So hat die Direktion der Klinik in Nis angekündigt, allen Mitarbeitern, die wegen Infektionsverdacht in die Selbstisolation müssen, die Bezüge um ein Drittel zu kürzen.
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