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Londons Bürgermeister Sadiq Khan will die Briten erneut über die EU abstimmen lassen.
© dpa

Debatte über zweites EU-Referendum: Bloß keine Illusionen

Londons Bürgermeister Sadiq Khan fordert ein zweites Referendum über die EU. Doch Khan fehlt eines: Die Unterstützung einer breiten Mehrheit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Wird jetzt am Ende doch noch alles gut? Besinnen sich die Briten eines Besseren und stimmen demnächst in einem zweiten Referendum für den Verbleib in der EU? Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan hat sich für eine Wiederholung des EU-Referendums von 2016 ausgesprochen und damit den Europa-Befürwortern auf der Insel Auftrieb gegeben. Die Kampagne der Remainer hat aber ein Problem: Es fehlt ihr an kritischer Masse und an breiter Unterstützung in der Bevölkerung.

Khan vertritt eine urbane Mittelschicht, die gemeinsam mit vielen anderen Briten beim Brexit auf der Verliererseite stehen wird. Wer in der britischen Hauptstadt im Finanzsektor arbeitet, wird beim EU-Austritt mindestens genauso das Nachsehen haben wie etwa die Beschäftigten in der Automobilbranche in Oxford. Bereits beim Brexit-Referendum von 2016 stimmte eine Mehrheit der Londoner für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn sich deren Bürgermeister Khan ein halbes Jahr vor dem geplanten Ausscheiden aus der EU dafür ausspricht, dass die Briten über das Ergebnis der Austrittsverhandlungen abstimmen sollen. Nur: Man sollte sich keine Illusionen machen, dass der politische Wille für ein zweites Referendum in Großbritannien tatsächlich vorhanden ist.

Schon Tony Blair rief die Briten vergeblich zur Umkehr auf

Mit Khan verhält es sich ähnlich wie mit seinem Parteikollegen Tony Blair. Schon viel früher als Khan setzte sich der ehemalige britische Regierungschef im Lager der Labour-Politiker dafür ein, den ganzen Austrittsprozess noch einmal zu überdenken. Auf dem Kontinent fand dies seinerzeit in der Öffentlichkeit ein breites Echo. Dabei wurde aber oft übersehen, dass Blair nicht die Mehrheitsmeinung auf der Insel vertritt. Damit ein zweites Referendum Sinn ergäbe, müsste sich in den Umfragen eine eindeutige Mehrheit für die EU abzeichnen. Dies ist aber – allen Szenarien über einen möglichen No-Deal-Brexit zum Trotz – nicht der Fall. Auch wenn die negativen wirtschaftlichen Folgen des Brexit allmählich ins Bewusstsein der britischen Öffentlichkeit sickern, so scheint es immer noch einen sehr starken Willen zu geben, sich von der ungeliebten EU loszusagen.

Wer unter unter dem Aspekt der Demokratietheorie an die Sache herangeht, wird ohnehin ein Problem mit einem zweiten EU-Referendum in Großbritannien haben: Die Organisatoren müssten sich zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, dass sie so lange abstimmen lassen, bis das Ergebnis passt. Zudem stellt sich die Frage, welche Folgen es hätte, wenn bei einem zweiten Referendum anders als 2016 52 Prozent nicht gegen, sondern diesmal für die EU stimmen würden. Der Riss, den die EU in der Gesellschaft hervorruft, würde weiter fortbestehen.

Die Labour-Partei sollte über ihren Schatten springen

Dieser Riss zieht sich auch durch die regierende Tory-Partei, welche die britische Bevölkerung bis auf Weiteres dem Risiko eines „No Deal“ aussetzt. Die Führung von Khans Labour-Partei lässt die Dinge hingegen treiben. Sinnvoller wäre es, wenn sich die Labour-Partei dazu durchringen könnte, zumindest den größten Schaden beim Brexit von der britischen Bevölkerung abzuwenden. Dies könnte nach dem Vorbild Norwegens darauf hinauslaufen, dass Großbritannien zwar die EU verlässt, aber langfristig komplett im europäischen Binnenmarkt bleibt. Aber dafür müsste die Partei des EU-Skeptikers Jeremy Corbyn über ihren eigenen Schatten springen.

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