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Der frühere britische Premier Tony Blair.
© AFP

Großbritannien: Blair warnt Labour vor Selbstvernichtung

Der ultralinke Jeremy Corbyn will neuer Parteichef werden – neue Parteimitglieder sind dabei behilflich. Der ehemalige Premier Tony Blair geht dagegen vor.

In einer dringlichen Intervention warnt Tony Blair, 13 Jahre lang Chef der Labourpartei, im „Guardian“ vor der Wahl des Ultralinken Jeremy Corbyn zum neuen Parteichef: „Die Partei läuft mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Armen dem Abgrund entgegen“, schrieb Blair. Corbyns Wahl bedeute Labours Vernichtung. Unter Corbyn werde sie von einer potenziellen Regierungspartei zu einer reinen Protestpartei ohne Macht und Einfluss.

Die Warnung könnte zu spät kommen: In einem von Gewerkschaften organisierten Endspurt ließen sich vor Ablauf der Eintragungsfrist noch mehr als 100.000 weitere Wahlberechtigte in die Wählerlisten eintragen – die Mehrheit von ihnen wohl zugunsten Corbyns. Insgesamt 610 753 Personen nehmen an der Wahl teil, bei der sich Gewerkschaftsmitglieder zum ersten Mal individuell als „affiliierte Mitglieder“ eintragen müssen und zudem „registrierte Anhänger“ für eine Anmeldegebühr von 3 Pfund abstimmen können. Insgesamt wählen 299 755 Vollmitglieder, 189 703 affiliierte Mitglieder und 121 295 registrierte Anhänger. Zum Zeitpunkt der Unterhauswahl im Mai hatte Labour nur knapp 200.000 Parteimitglieder.

Unter den Neueintritten sind offenbar viele ehemalige Trotzkisten, die in den achtziger Jahren als militante Linke aus der Labourpartei ausgeschlossen wurden. Auch jetzt ist von Infiltration die Rede: 1200 Beitrittsanträge wurden abgelehnt, auch hundert von Parteimitgliedern der Grünen. Trotzdem fordern einige Labour-Parlamentarier den Abbruch der Wahl und drohen mit Klagen, weil laut dem Abgeordneten Graham Stringer „die Satzung nicht eingehalten wurde“.

Gewerkschaften mobilisieren

Jeremy Corbyn ist aber nicht nur Nostalgiekandidat für Altlinke, die unter Blairs Rechtsruck die politische Heimat verloren. Der 66-Jährige, der seit 32 Jahren als Dauerrebell auf den Hinterbänken im Unterhaus sitzt, hebt sich mit Bart, beigem Rentneranorak und Schrebergarten in Nordlondon von politischen Karrieristen als Überzeugungspolitiker ab. Er verspricht „authentische“ Politik, ähnlich der radikal linken schottischen SNP-Führerin Nicola Sturgeon, dem Anti-EU-Politiker Nigel Farage oder auch Systemstürmern von Alexis Tsipras bis Donald Trump.

„Alle sagen dasselbe, Jeremy ist anders“, sagt eine Mitfünfzigerin im roten „Jeremy4Labour“-Shirt in der BBC. Blair sagte zu der Euphorie: „Wessen Herz für Corbyn schlägt, braucht eine Herztransplantation.“ Mit der Parole „Straight Talking, Honest Politics“ (Klare Worte, ehrliche Politik), verspricht Corbyn ein Ende von Sparpolitik und „liberalem Konsens“, will die Märkte an die Kandare nehmen, soziale Gerechtigkeit schaffen, Studiengebühren und Atomwaffen abschaffen, öffentliche Versorger und Bahnen verstaatlichen und sogar die alte „Clause 4“ wieder in die Parteiverfassung aufnehmen, deren Abschaffung Kernelement von Blairs Labour-Reform in den 90er Jahren war – sie steht für „gemeinsames Eigentum der Produktionsmittel“. Mitkandidatin Yvette Copper erklärte: „Jeremy bietet alte Lösungen für alte Probleme an, nicht die neuen Antworten, die wir auf die Probleme der Zukunft brauchen“.

Eine Umfrage sieht Corbyn bei 53 Prozent weit vor Andy Burnham mit 21 Prozent. Damit könnte er die Wahl ohne Zweitstimmen gewinnen. Diese Aussichten mobilisierten Gewerkschaften und Neumitglieder jetzt noch einmal – und verschärften die Warnungen: Blairs Ex-Pressesprecher fordert eine „Anti-Corbyn-Koalition“, der Liberaldemokrat Norman Baker, dessen eigene Partei sich im Mai zersplitterte, warnt vor einem „Tory-Einparteienstaat“.

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