Angriffe von Rechtsextremen: BKA zählt 109 Tote durch rechte Gewalt seit 1990
Das BKA stuft neun der zehn Toten in Hanau als Opfer eines rassistischen Angriffs ein. Doch die Gesamtbilanz der Behörde seit 1990 erfasst nicht alle Toten.
Die offizielle Zahl der Todesopfer rechter Gewalt steigt weiter. Das Bundeskriminalamt stuft nach Informationen des Tagesspiegels neun der zehn Toten des Anschlags in Hanau als Opfer politisch rechts motivierter Kriminalität ein. Damit starben nach Erkenntnissen der Polizei seit der Wiedervereinigung insgesamt 109 Menschen bei Angriffen rechtsextremer Täter.
Die reale Zahl dürfte allerdings deutlich höher sein. Der Tagesspiegel kommt in einer Langzeitrecherche auf mindestens 180 Todesopfer. Die Polizei hat in den vergangenen Jahren mehrmals ihre Statistiken korrigiert und Fälle nachgemeldet.
Beim Mord an der Mutter sieht das BKA kein politisches Motiv
Das BKA sieht die Mutter des Täters in Hanau, die von ihm ebenfalls erschossen wurde, nicht als Opfer rechter Gewalt. In diesem Fall lägen „keine Anhaltspunkte für politisch motiviertes Handeln des Tatverdächtigen“ vor, teilte das BKA am Freitag mit. Der Rassist Tobias Rathjen (43) hatte am 19. Februar in der hessischen Stadt in und bei zwei Shisha-Bars acht Männer und eine Frau mit Migrationshintergrund mit Schüssen getötet.
Bei den Opfern handelt es sich um Sedat Gürbüz (30), Kalojan Velkov (33), Hamza Kurtovic (20), Ferhat Ünvar (22), Fatih Saracoglu (34), Gökhan Gültekin (37), Vili Viorel Paun (23), Said Nesar Hashemi (21) und Mercedes Kierpacz (35). Wann Rathjen seine 72-jährige Mutter Gabriele tötete, ist unklar. Die Polizei fand die Mutter und den Täter, der sich erschossen hatte, in ihrer Wohnung.
Der Generalbundesanwalt zog die Ermittlungen im Fall Hanau sofort an sich
Dass die Ermordeten vom BKA als Todesopfer rechter Gewalt eingestuft werden, ist eine Ausnahme. Die polizeiliche Bewertung einer Straftat ist Ländersache. Im Fall Hanau hatte sich jedoch Generalbundesanwalt Peter Frank nur Stunden nach der Tat eingeschaltet und das BKA mit den weiteren Ermittlungen beauftragt. Es lägen „gravierende Indizien für einen rassistischen Hintergrund“ vor, sagte die Bundesanwaltschaft. Rathjen hatte ein Manifest hinterlassen, in dem er die Ausrottung aller Völker zwischen Marokko und Afghanistan fordert.
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Medienberichte von Ende März, das BKA sehe Rassismus nicht als Hauptmotiv Rathjens, wies Behördenchef Holger Münch zurück. Die Tat werde „als eindeutig rechtsextremistisch“ bewertet, teilte Münch bei Twitter mit. „Die Tatbegehung beruhte auf rassistischen Motiven.“
Rathjen war bei Schießübungen in der Slowakei
Unterdessen haben die Sicherheitsbehörden Erkenntnisse, Rathjen habe sich in der Slowakei an Schießübungen beteiligt. Darüber hatte zuerst der „Spiegel“ berichtet. Rathjen soll 2019 zweimal auf dem Schießstand einer Sicherheitsfirma „Gefechtstrainings“ absolviert haben. Sicherheitskreise bestätigten zudem, Rathjen habe im Internet Bücher mit Verschwörungstheorien sowie Reden Adolf Hitlers bestellt.
Experten der hessischen Polizei gehen dem Verdacht nach, Rathjen habe an einer paranoiden Schizophrenie gelitten. In seinem Manifest behauptete Rathjen, er werde von Geheimdiensten überwacht. Kurz vor der Tat rief er in einem Video die Amerikaner auf, sich gegen eine Geheimorganisation zu wehren, die in unterirdischen Anlagen Kinder töte. Verfolgungswahn ist allerdings bei Extremisten nicht untypisch.
Frank Jansen