Scheuers Mogelpackung: Billigere Bahntickets sind noch kein Klimaschutz-Plan
Günstigere Bahntickets für mehr Klimaschutz? Klingt gut. Doch der Vorschlag von Verkehrsminister Andreas Scheuer ist vergiftet. Ein Kommentar.
Erst kündigt Andreas Scheuer an, ab sofort auch ein „Fahrradminister“ zu sein. Nun will er den Mehrwertsteuersatz im Fernverkehr von 19 auf sieben Prozent senken. Dadurch könnten Bahnfahrer um 400 Millionen Euro pro Jahr entlastet werden, sagt er. Wer es mit dem Klimaschutz und dem Umstieg auf die Schiene ernst meine, der müsse bei der Steuer ansetzen. Das hört sich prima an, doch wieviel Taktik ist dabei? Und wieviel Machtkampf in der großen Koalition?
Mit dem Klimaschutz ist es bei der Koalition ja ein wenig wie mit dem Ausbau der Radwege in Berlin. Viel Stückwerk, mal auch Zickzack – und Wege, die im Nichts enden. Doch ein großer Masterplan fehlt. Zwar sind die Bilder von Kanzlerin Angela Merkel von schmelzenden grönländischen Eisbergen unvergessen, aber das lange wie eine Monstranz vor sich her getragene Klimaziel von 40 Prozent weniger an Treibhausgasen bis 2020 (im Vergleich zu 1990) wird nicht geschafft.
Der Höhenflug der Grünen und die freitags für mehr Klimaschutz streikenden Schüler machen der großen Koalition zumindest etwas Beine. Doch Scheuer bremste bisher bei vielem, eine Kommission zur Senkung der Emissionen im Verkehrssektor endete im Dissens.
Merkel berief ein Klimakabinett ein – da kommt nun auch der Vorschlag Scheuers auf den Tisch. Er protegierte bisher die Autoindustrie und stemmte sich gegen allzu harte Nachrüstauflagen für dreckige Diesel, auch ein Autobahn-Tempolimit hält er für Quatsch. Aber irgendwo muss man was machen. Denn die Kohlendioxid-Emissionen des Auto-Verkehrs sind nicht gesunken, sondern zwischen 1995 und 2017 um 0,5 Prozent gestiegen, laut Umweltbundesamt sind halt 21 Prozent mehr Autos als damals unterwegs.
Um mehr Leute auf die Schiene zu locken, müssten ja zunächst einmal mehr Züge rollen und die Bahn mit Milliardeninvestitionen besser werden. Scheuer könnte aber auch den Flugverkehr stärker besteuern – doch ein Dogma der Union ist: Keine Steuererhöhungen. Und sein Vorschlag ist ein wenig ein vergifteter: Er reicht damit den Schwarzen Peter an den Finanzminister Olaf Scholz von der SPD weiter, denn der muss das finanzieren. Und in dessen Ministerium heißt es, langsam werde einem schwindelig, wie die Union den Haushalt überbuche, doch das Dogma lautet hier: Keine neuen Schulden.
Machtkampf in der großen Koalition
Zum einen will man Scholz treiben. Man nimmt ihn ernst, denn wenn er sich parteiintern durchsetzen kann, gilt er als nächster SPD-Kanzlerkandidat. Und seine Bilanz und Beliebtheitswerte sind nicht schlecht.
Und es geht bei dem Ganzen um ein Torpedieren des SPD-Wunschprojekts einer Grundrente für langjährige Einzahler, die heute kaum über die Runden kommen. Die Union kann am Ende sagen: Seht her, ihr bügelt unsere Wünsche ab, daher geht nur eine Grundrente für einen kleinen Kreis, allerdings stand die umstrittene Bedürftigkeitsprüfung ohnehin im Koalitionsvertrag, davon will die SPD nun aber nichts wissen.
Die Koalition verheddert sich zunehmend in den Profilierungsversuchen jeder Seite. Aber ein wirklich großer gemeinsamer Wurf, ein rascher Durchbruch bei der Grundrente zum Wohle der Betroffenen und ein innovatives Gesamtkonzept für mehr Klimaschutz, das im besten Fall auch ein Jobmotor sein, ist bislang nicht zu erwarten.