zum Hauptinhalt
Flüchtlinge in Griechenland
© dpa
Update

Traumatisierte Flüchtlinge: Bilder in den Köpfen, keine Hilfe

Nach Schätzungen von Experten ist jeder zweite Flüchtling traumatisiert. Viele bleiben mit ihrem Leid alleine, Psychotherapeuten schlagen Alarm.

Krieg, Folter, sexueller Missbrauch. Flüchtlinge haben in ihrer Heimat und auf der Flucht oft Schreckliches zu erleben. Die Erfahrungen hinterlassen schwere seelische Verletzungen. Nach Schätzungen der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ist mindestens die Hälfte der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge psychisch krank: Die meisten leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung oder unter Depressionen.

Betroffen seien Flüchtlinge aus allen Herkunftsländern. Man müsse jedoch davon auszugehen, dass der Anteil psychisch kranker Menschen bei den Bürgerkriegsflüchtlingen noch wesentlich höher sei, erklärte Kammerpräsident Dietrich Munz. "Es handelt sich bei den Zahlen um ein Minimum der Schätzung."

Besonders verletzlich seien Flüchtlingskinder, erklärte Munz. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Technischen Universität München belege, dass jedes fünfte syrische Flüchtlingskind traumatisiert in Deutschland ankommt.

Atemnot, Schwindel, Herzrasen

Wer an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt ist, leidet unter anderem an sogenannten Flashbacks mit Atemnot, Schwindel, Herzrasen oder Todesängsten. Weitere Symptome sind Schlaf- und Konzentrationsstörungen, starke Schreckhaftigkeit und emotionale Taubheit. Um zu verhindern, dass die Symptome chronisch werden, sei eine frühzeitige Behandlung notwendig, erklärte Munz. Warte man mit der Therapie zu lange, könne das "die Integration der Betroffenen behindern oder sogar ganz verhindern".

Bislang erhalten bundesweit jedoch nur vier Prozent der psychisch kranken Flüchtlinge eine Psychotherapie. "Es ist beschämend, dass Menschen mit solch starken und schmerzenden psychischen Verletzungen fast nie eine angemessene Hilfe erhalten", sagte Munz. Zwar können psychisch kranke Asylsuchende in den Sozialämtern einen Antrag für eine Psychotherapie stellen, doch dauert die Bearbeitung meist mehrere Monate. Zudem entschieden in den Behörden meist Sachbearbeiter oder Ärzte über die Notwendigkeit einer Therapie, obwohl sie dafür gar nicht ausgebildet seien. Dies führe häufig zu Fehleinschätzungen.

Psychosoziale Zentren sind überlastet

Seit Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes im März dieses Jahres haben Flüchtlinge nach 15 Monaten zwar grundsätzlich Anspruch auf eine Psychotherapie, bekämen sie aber nur sehr selten genehmigt, kritisierte Munz weiter. Es fehle an Therapieplätzen, so dass die Menschen in der Regel in Flüchtlings- oder spezialisierten Traumazentren behandelt werden. Diese können jedoch wiederum nicht mit den Kassen abrechnen. So auch das psychosoziale Behandlungszentrums Xenion in Berlin. "Ich glaube nicht, dass wir die Herausforderung unter diesen Bedingungen schaffen können", sagte der Leiter Dietrich Koch dem Tagesspiegel. Nur ein Teil der Kosten des Zentrums werden vom Land getragen, der Rest stammt aus Spenden privater Stiftungen oder europäischen Programmen. Ein wesentlicher Kostenträger wurde in diesem Jahr vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht mehr bewilligt - Xenion fehlen dadurch 60.000 Euro. "Obwohl absehbar war, dass die Flüchtlingszahlen weiter steigen werden", sagte Koch. Hinzukomme, dass das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) "völlig zusammengebrochen" sei. "Unsere Anträge werden nicht mehr bearbeitet, wir leiten sie schon gar nicht mehr weiter", sagte Koch. Er rechnet dadurch mit einer weiteren Finanzierungslücke von 30.000 Euro. "Gerade jetzt, wo wir mehr tun müssten." Sein Personal sei auf einen Flüchtlingsstrom von 2008 ausgerichtet, "heute sind es aber 40 mal mehr Menschen". Eine ausreichende Betreuung könne auch mit den vielen ehrenamtlichen Therapeuten nicht geleistet werden.

Hinzu kommt: Eine Therapie mit Flüchtlingen ist in den meisten Fällen nur in Zusammenarbeit mit einem Dolmetscher möglich. Die Kosten dafür werden jedoch nur selten von den Sozialämtern oder den Krankenkassen übernommen. Die Psychotherapeutenkammer fordert deshalb eine Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, damit Flüchtlinge grundsätzlich Anspruch auf einen Dolmetscher haben.

Nur etwa 4.000 Betroffene erhalten Therapie

Die Kosten des Mehrbedarfs an Therapien für Flüchtlinge sind der Kammer nicht bekannt, denn die Dauer der Behandlung ist je nach Fall sehr unterschiedlich. Auch die genaue Zahl der Flüchtlinge ist weiter unklar, zuletzt war von 1,5 Millionen allein in diesem Jahr die Rede. Tatsächlich jedoch wollten nur etwa zehn bis 20 Prozent der Menschen, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, auch eine Therapie: "Viele Flüchtlinge versuchen sich selbst zu heilen, oder nehmen gar nicht wahr, dass sie psychisch krank sind", sagte Munz. In den bundesweit gut 20 Zentren für Folteropfer bekommen momentan 3500 bis 4000 Menschen pro Jahr eine Behandlung.

Auch die Bedingungen im Asylland tragen dazu bei, wie stark sich die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung ausprägen, sagte Theresa Unger, Wissenschaftliche Referentin der Kammer. Beengte Wohnverhältnisse Diskriminierung sowie fehlende Arbeitserlaubnis, Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen verschlimmerten die Krankheit. "Die Angst vor Abschiebung ist für viele Betroffene sehr bedrohlich und verhindert den Genesungsprozess."

Josefa Raschendorfer

Zur Startseite