Der US-Präsident muss liefern: Biden auf Europa-Reise – und Trump im Gepäck?
Joe Biden reist nach Europa, während zuhause weiter um seine politische Agenda gerungen wird. Ein Scheitern kann sich Amerika nicht leisten. Ein Kommentar.
Welcher Joe Biden wird sich in Europa in den kommenden Tagen präsentieren? Ein selbstbewusster Staatenlenker, gestärkt von Last-Minute-Erfolgen in der Heimat, der der Welt erklärt, in welche Richtung sie sich unter amerikanischer Führung bewegen soll?
Oder ein von der Innenpolitik abgelenkter US-Präsident, dessen eigene Partei ihm die Gefolgschaft verweigert und der schon neun Monate nach Amtsantritt wieder seinen ewigen Gegenspieler Donald Trump im Gepäck hat?
Bis zur letzten Minute vor Abflug hat Biden um seine politischen Großvorhaben gekämpft. Der Start zu seiner zweiten Europa-Reise am Donnerstag wurde extra nach hinten verschoben, damit er im Kongress noch einmal für seine Agenda werben und sie anschließend in einer Rede an die Nation erklären kann.
Biden, der lange Senator war, liebt das Aushandeln. Im Wahlkampf hat er versprochen, Kompromisse und Ergebnisse zu erreichen, die das Leben der Amerikaner signifikant verbessern.
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Nun muss der selbsterklärte Dealmaker liefern. Sonst könnte sich das Zeitfenster für wirkliche Veränderung schnell schließen – weil die Bürger den Demokraten nicht mehr zutrauen, aus ihren Mehrheiten konstruktive Politik zu machen.
Diese Mehrheiten könnten dann schon bei den Zwischenwahlen 2022 kippen. Die Ersten bezweifeln bereits, ob die Demokraten überhaupt regieren wollen – und können.
Noch kann er ein Reformpräsident werden
Noch ist es zu früh, von einem Scheitern des 46. Präsidenten zu sprechen. Noch kann er ein Reformer werden. Schafft es Biden, einen wie auch immer gearteten Kompromiss bei seinem billionenschweren „Build Back Better“-Plan zu schmieden, und fließen tatsächlich Billionen Dollar in Infrastruktur, grüne Energien und den Sozialstaat, dann kann seine Partei mit diesen „historischen Investitionen“ in die nächsten Wahlen ziehen.
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Was bedeutet all das für die Partner Amerikas? Bei Bidens erster Europa-Reise im Juni wurde die Rückkehr der USA als verlässliche Führungsnation gefeiert. Mit ihnen sei auch der Westen wieder da, hieß es.
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Aber schon damals gab es leise Zweifel daran, ob der Trumpismus wirklich dauerhaft besiegt wurde. Diese Sorgen sind noch größer geworden. Wirkliche Erfolge etwa bei der globalen Mindeststeuer oder im Kampf gegen den Klimawandel könnten Biden helfen.
Das Horrorszenario? Trumps Rückkehr 2024
Eine Rückkehr Trumps ist das Horrorszenario – für Amerika und für den Westen als Ganzes. Dieses Mal würden Bündnisse wie die Nato wohl nicht überleben.
Trump hat der amerikanischen Demokratie den Kampf angesagt, indem er die Legitimität von Wahlen in Zweifel zieht. Bis heute bestreitet er seine Niederlage, er mobilisiert so seine Anhänger und sammelt Spenden für politische Kampagnen. Setzt er sich damit durch, sind die Auswirkungen kaum zu unterschätzen.
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„Wappnet euch“, schreibt der konservative Trump-Kritiker David Frum in einem beklemmenden Meinungsbeitrag für „The Atlantic“, in dem er aufzeichnet, was mit Trump 2.0 droht. Diese Warnung ist mindestens so sehr an die Demokraten wie an die Republikaner gerichtet. Wenn die Vernünftigen nicht in der Lage sind, angesichts einer solchen Gefahr zusammenzukommen, sieht es düster aus.
Noch ist es nicht so weit, noch kann der bald 79-jährige Biden zeigen, dass er schafft, wofür er gewählt wurde: als Brückenbauer das Land in eine bessere Zukunft zu führen. Aber die Zeit wird knapp. Europa sollte sich wappnen.