Die größte Aufgabe des neuen Präsidenten: Biden als Heiler der zerrütteten Nation – schafft er das?
Die Wahl hat erneut gezeigt, wie gespalten die USA sind. Diese Spaltung zu überwinden wird Bidens schwierigste Aufgabe. Ein Kommentar.
Ein Mann wie ein Buch - eine Geschichte des Lebens. Bald ist er 78 Jahre alt, und ja, Joe Biden ist kein Junggebliebener. Immer wieder verwechselt oder vergisst er Namen, Gelegenheiten, Begebenheiten. Aber es wird ihm nachgesehen wie keinem Zweiten, weil er sein Leben in den Dienst am Vaterland gestellt hat. Nun steht er als 46. Präsident der USA fest.
37 Jahre hat Biden im Senat gesessen, gearbeitet und Strippen gezogen, acht Jahre als Vizepräsident, die Nummer 2, Barack Obama beraten, nicht zuletzt im Umgang mit dem Senat. So ein „Record“ ist einzig.
Darum jubeln sie ihm auch zu, wenn Biden im heimatlichen Delaware sagt: „Ich kenne keine roten oder blauen Staaten. Ich kenne nur die Vereinigten Staaten.“ Und: „Ich bin als demokratischer Kandidat angetreten. Ich will das Land aber als Präsident aller Amerikaner führen.“ E pluribus unum, das staatliche Motto, gilt auch für ihn.
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Aus vielen der eine, der Präsident wird, und der ist dann einer für alle. Sollte es sein oder zumindest werden wollen. Genau das ist Joe Bidens Angebot, jetzt mehr denn je.
Er intoniert es auch schon als Leitmotiv für seine Präsidentschaft. Biden als Heiler der zerrütteten Nation: Ob er diese selbstgestellte Aufgabe erfüllen kann?
Positivität vs. Aggressivität, das ist Joe Biden
Die Risse in der Gesellschaft sind riesig, die Herausforderung ist von bisher ungekannter Größe. Biden will Gräben nicht nur überwinden, sondern zuschütten, mindestens Brücken bauen. Allein schon daran kann ein Jüngerer scheitern. Er, der älteste Präsident je, erst recht. Selbst wenn Biden zugleich mit insgesamt mehr als 70 Millionen Stimmen die höchste Anzahl für einen Präsidentschaftskandidaten je erreicht hat.
Dass das Klimaabkommen wieder ins Werk gesetzt werden soll, ist ein wichtiger Hinweis: Alles, was die Jugend Zukunft kosten kann, wird von einem Präsidenten Biden mit Vorrang behandelt werden. Behandelt werden müssen. Das ist seine Verantwortung: jetzt dringend wieder verantwortungsvolle Politik für die nächsten Generationen zu machen - zu der Senatorin Kamala Harris das engste Bindeglied wird.
Positivität vs. Aggressivität und die Neigung zur Verneinung, das ist Joe Biden.
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Und so wie er Obama in den Kongress hinein vermittelt hat, so wird Harris darin einen Teil ihrer Rolle als Nummer 2 finden. Sie muss vermitteln, verhandeln, vollziehen, als eine ausnehmend starke Zweite, bis sie die Erste wird. Während Joe Biden im wahren Wortsinn präsidiert.
Biden muss sich glaubwürdig Gehör verschaffen
Er wird nach Kräften bemüht sein, sich und seine Botschaft in die Nation zu tragen, zu Jane und Joe Average, den Durchschnittsamerikanern. Deren Sprache er spricht. Was nicht gering zu schätzen ist. Denn er muss sich im Sinne einer Heilung der Gesellschaft glaubwürdig Gehör verschaffen, mit seiner Art „Compassion“, was angesichts des ohrenbetäubenden Gebrülls der Gegner kräftezehrend ist. Einer großen Zahl an Gegnern. Die auch noch weiter befeuert werden von Donald Trump, der sich wie ein Fürst der Finsternis aufführt, spaltet und darin nicht nachlässt, anstatt im Letzten doch noch einen Funken staatsmännischer Größe aufzubringen.
Biden wird sich also seine Kräfte einteilen, seinem Alter entsprechend, seinen politischen Erfahrungen folgend. Und einer Weisheit gemäß, zu der ihn sein Leben geführt hat: Persönliche Tragödien, schmerzliche Abschiede haben ihn nicht verbittert. Ja, er ist ein Schmerzensmann, aber einer, der keine bei anderen verursacht, sondern Anteil nehmen kann, weil er weiß, worauf es ankommt: sich nicht niederdrücken zu lassen, immer wieder aufzustehen, wiederzukommen.
Schicksal ist das, was man daraus macht. Joe Biden wird für sich das beste daraus zu machen versuchen. Sein Leben taugt schon mal für ein Kapitel im Buch der Geschichte der Vereinigten Staaten.