zum Hauptinhalt
Vom 27. bis 30. Dezember 2017 findet in Leipzig der Kongress des Chaos Computer Clubs statt.
© Sebastian Kahnert/dpa

Kongress des Chaos Computer Clubs: Bewerte mich – oder besser nicht?

Experten warnen vor Freiheitseinbußen durch massive Datenkontrolle. In China ist das sogenannte Scoring längst keine Science Fiction mehr. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Til Knipper

Die am wenigsten gelesenen Texte weltweit sind wohl die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Internet- und Appanbietern. Amerikanische Forscher haben mal errechnet, dass der Durchschnittsnutzer 76 Arbeitstage pro Jahr aufwenden müsste, um sich genau zu informieren, was alle Dienstleister, mit denen er online in Kontakt tritt, mit den Daten anstellen dürfen, die er beim Surfen hinterlässt.

Es ist aber das große Dilemma im Zeitalter der Digitalisierung, dass viele hervorragende Dienstleistungen im Internet und praktisch alle Apps auf Smartphones und Tablets nur dann richtig funktionieren, wenn sie Daten über das Nutzungsverhalten sammeln. Sonst findet man die interessanten Kommentatoren auf Twitter nicht, bekommt bei Amazon die falschen Produkte empfohlen, man hätte Schwierigkeiten, über AirBnb eine Wohnung zu mieten, und Facebook könnte weder helfen, die eigenen Freunde aufzuspüren, noch interessante Inhalte in die persönliche Timeline einfließen zu lassen. Diese Auflistung ließe sich ewig weiterführen.

Die Kehrseite dieser Datensammelwut ist eines der Themen, die gerade beim 34. Kongress des Chaos Computer Clubs in Leipzig diskutiert werden. Denn problematisch wird es dann, wenn aus den gesammelten Daten ein individualisierter Wert für jeden einzelnen Internetnutzer ermittelt wird, mit dessen Hilfe über die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entschieden wird. Je niedriger der eigene Score, desto höher Kreditzinsen oder Versicherungsbeiträge.

In China geht man beim Scoring noch viel weiter. Ab 2020 soll für jeden Chinesen laufend ein Social Credit Score erstellt werden, ermittelt durch die verpflichtende Teilnahme an einer Art Online-Game, das den braven Bürger belohnt. Die Wirtschaftsleistung des Landes im riesigen China-Social-Network loben gibt Pluspunkte, Bücher von regimekritischen Exilchinesen empfehlen Minuspunkte. Wer mit Leuten Kontakt pflegt, die einen niedrigen Wert haben, wertet den eigenen Score herunter. Die Punktzahl wiederum entscheidet, wer einen guten Job bekommt und ob die Kinder auf eine gute Schule dürfen. So wird soziale Kontrolle ausgeübt, ohne dass die Regierung selbst einschreiten muss.

Ein Traum für Autokraten: Man hat den perfekten Spitzel- und Überwachungsapparat geschaffen und jeder, der nicht aktiv mitspielt, macht sich schon dadurch verdächtig. Natürlich drohen uns hier keine chinesischen Zustände, ein derartiges Überwachungsinstrument verbieten schon die Datenschutzvorschriften. Das sagen auch nicht die in Leipzig versammelten Experten. Sie warnen aber davor, dass man auch hier sozialem oder kommerziellem Druck ausgesetzt ist.

Wenn die Kfz-Versicherung einen Rabatt von fünf Prozent bei vorsichtigem Fahren verspricht, das mit einer ins Auto eingebauten Box kontrolliert wird, willigen viele freiwillig ein. Auch Krankenkassen testen bereits ähnliche Anreizmodelle. Wird diese Freiwilligkeit aber zur Norm, müssen irgendwann alle mitmachen oder sich ihre Freiheit erkaufen. Vielleicht sollte man doch öfter AGBs lesen, um eine bessere Kontrolle über die eigenen Daten zu behalten.

Zur Startseite