Die Kinderporno-Affäre um Sebastian Edathy: Berliner Staatsanwaltschaft prüft Edathys Vorwürfe
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy hat enthüllt, dass ihm ein SPD-Abgeordneter von drohenden Ermittlungen berichtete. Jetzt soll er vor dem Bundestag aussagen. Was ist zu erwarten?
Am Donnerstag tritt Sebastian Edathy vor den Untersuchungsausschuss des Bundestags. Der Ex-SPD-Abgeordnete ist wegen des Besitzes von Kinderpornografie angeklagt und muss demnächst vor Gericht. Sein Mandat hatte Edathy im Februar niedergelegt, unmittelbar bevor Ermittler Wohnung und Büros durchsuchten. Jetzt hat der Politiker erklärt, er sei von seinem Parteifreund und damaligen Abgeordnetenkollegen Michael Hartmann vor drohenden Ermittlungen gewarnt worden. Die Berliner Staatsanwaltschaft befasst sich mit dem Vorwurf Edathys. "Wir prüfen den Vorgang im Hinblick auf eine mögliche Strafvereitelung", sagte Justizsprecher Martin Steltner dem Tagesspiegel. Weitere Ermittlungsmaßnahmen seien noch nicht erfolgt. Laut Gesetz kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden, wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft wird. Edathy ist wegen Kinderpornografie-Besitzes angeklagt und muss sich im Februar vor dem Landgericht Verden verantworten. Hartmann hatte Edathys Vorwürfe zurückgewiesen und dessen Darstellung als unzutreffend bezeichnet.
Wie kam es zur Edathy-Affäre?
Ende 2011 fiel dem Bundeskriminalamt (BKA) über Interpol eine Kundenliste der kanadischen Firma Azov Films in die Hände. Verzeichnet waren darin auch mehrere hundert Deutsche, die sich Filme oder Bilder der Firma per Internet bestellt hatten. Von Azov war bekannt, dass sie neben Darstellungen nackter Kinder auch harte Kinderpornografie vertrieb. Der Name spielt auf den Drehort vieler der zweifelhaften Produktionen an, den Südosten der Ukraine und die Halbinsel Krim am Asowschen Meer.
Die Polizei startete die „Operation Selm“, bei der bundesweit gegen bis zu 800 Verdächtige ermittelt wurde. Der Name Sebastian Edathys fiel zunächst nicht auf, erst im Oktober 2013 erkannten die ermittelnden Beamten, um wen und was es ging. Im November feierte Kanadas Polizei öffentlich ihren Schlag gegen Azov Films („Operation Spade“). Edathy schickte daraufhin einen Rechtsanwalt los, um herauszukriegen, ob gegen ihn Verfahren laufen. Im Januar 2014 übernahm die Staatsanwaltschaft Hannover seine Akte, hielt die Ermittlungen aber geheim. Im Februar erklärte der SPD-Politiker seinen Rücktritt. Mit den Hausdurchsuchungen bei ihm kurz darauf wurde der Fall publik.
Warum wurde so lange gewartet?
Unter anderem dies soll der Untersuchungsausschuss klären, der im Sommer auf Druck der Opposition eingesetzt wurde. Denn auf der Bestellerliste stand auch der Name eines ehemals führenden BKA-Beamten, der eindeutig illegales Material geordert hatte. Sein Fall wurde noch Anfang 2012 an die zuständige Staatsanwaltschaft gegeben, es folgten ein Strafbefehl und der Vorruhestand.
Wie war die Politik verwickelt?
Noch im Oktober 2013 kam die Information von der Kundenliste über den damaligen Präsidenten des Bundeskriminalamts Jörg Ziercke zum damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich. Der CSU- Politiker entschied sich, SPD-Chef Sigmar Gabriel einzuweihen, um die Sondierungen für die Koalition nicht zu gefährden. Gabriel wiederum zog einige Parteileute ins Vertrauen. Informiert waren Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Fraktionschef Thomas Oppermann und die Parlamentarische Geschäftsführerin Christine Lambrecht. Edathy behauptet nun, der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann habe ihm am Rande des SPD-Parteitages in Leipzig im November 2013 von den BKA-Erkenntnissen berichtet und ihm auch gesagt, dass geprüft werde, ob das von dort vertriebene Material in Deutschland strafbar sei. Bei einem weiteren Gespräch im Dezember habe Hartmann mitgeteilt, dass er seine Informationen von Ziercke erhalten habe, sagte er dem „Stern“. Der vor kurzem pensionierte Ex-BKA-Chef widersprach dieser Darstellung jedoch. Der rheinland-pfälzische Abgeordnete Hartmann war im Juli selbst in die Schlagzeilen geraten, weil er zugab, im Herbst 2013 in geringer Menge die Designerdroge Crystal Meth genommen zu haben. Das Verfahren gegen ihn wurde gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt.
Welche politischen Folgen hatte die Affäre?
Gegen Friedrich leitete die Berliner Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Geheimnisverrats ein. Der Politiker musste als Landwirtschaftsminister zurücktreten. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) brachte ein Gesetz auf den Weg, um den Handel mit vermeintlich „harmlosen“ Bildern, wie Edathy sie bestellt hatte, bestrafen zu können. Der Bundestag verkürzte die Speicherfristen für Daten von Abgeordneten-Rechnern.
Welche Kritik gab es noch?
Die Filme, die sich Edathy bestellt hatte, waren legal, sie zeigten keine Kinder bei sexuellen Handlungen. Stattdessen spielten die Kinder, planschten oder cremten sich untereinander ein. Das BKA stufte das Material als nicht eindeutig kinderpornografisch ein. Edathy warf den Ermittlern vor, ein strafloses Verhalten als Anfangsverdacht für eine Straftat genommen zu haben. Er fand damit viel Zuspruch, bis hinauf zu einem Strafrichter des Bundesgerichtshofs. Zugleich rügte er die Verletzung seiner Immunität, weil er zum Zeitpunkt der Durchsuchungsbeschlüsse noch Abgeordneter gewesen sei. Der Bundestag musste sich rechtfertigen, weshalb ein Brief der Staatsanwaltschaft Hannover, mit dem Bundestagpräsident Norbert Lammert informiert werden sollte, tagelang in der Hauspost verblieb.
Wie entschied die Justiz?
Ex-Minister Friedrich wurde verschont. Die Staatsanwälte stellten sein Geheimnisverrats-Verfahren ein, obwohl er rechtswidrig gehandelt habe. Seine Schuld sei gering gewesen, er habe sich selbst geschädigt, indem er sein Amt verlor; zudem habe er uneigennützig gehandelt, es sei ihm um die Koalition gegangen. Edathy scheiterte mit seinen Beschwerden, zuletzt beim Bundesverfassungsgericht. Zwar habe noch Immunitätsschutz gegolten, aber er hätte dies früher rügen müssen, hieß es; den Anfangsverdacht gegen ihn sahen die Richter als zulässig an, weil seine Internet-Bestellungen an der Grenze zur strafbaren Kinderpornografie lagen und der Verdacht damit nicht an eindeutig legalem Handeln angeknüpft habe.
Was wurde aus der „Operation Selm“?
Die Listen-Daten aus Kanada wurden an Staatsanwaltschaften im ganzen Bundesgebiet verteilt. War nicht mehr nachzuweisen als die Azov-Bestellungen, wurden die Verfahren meist eingestellt. Noch immer sind nicht alle Daten ausgewertet.
Was ergab der Untersuchungsausschuss?
In mehr als einem Dutzend Sitzungen hat der Ausschuss 400 Aktenordner ausgewertet und 18 Zeugen vernommen, überwiegend aus Justiz und BKA. Es hieß, einer Sachbearbeiterin sei der Name des leitenden BKA-Kollegen frühzeitig aufgefallen. Der Fall sei dann schnell an die Mainzer Staatsanwaltschaft abgegeben worden, wo die Kundenliste jedoch nicht weiter durchgearbeitet und Edathys Name deshalb übergangen worden sei. Ansonsten sei „akribisch ermittelt“ worden, so sagte beispielsweise der für Kinderpornografie-Delikte zuständige BKA-Abteilungsleiter, weil solche Vorwürfe „Existenzen vernichten“ könnten. Es habe aber schwerere Fälle gegeben, bei denen bevorzugt ermittelt worden sei, hieß es weiter. Zugleich wurde betont, dass Leute, die straflose „nudistische“ Aufnahmen von Kindern bezögen, sich immer auch härteres Material beschafften. Im nächsten Jahr will der Ausschuss die politischen Verwicklungen aufarbeiten. Neben Ziercke, Friedrich, Oppermann und Gabriel wird sich auch Hartmann erklären müssen.
Was kann Edathy beitragen?
Das ist unklar. Bisher hat er bei Nachfragen angegeben, im November 2013 von den Operationen der kanadischen Polizei gegen Azov aus den Medien erfahren zu haben. Auch zum BKA habe es in dieser Sache keine direkten Kontakte gegeben. Offenbar hat er aber schon früher gegenüber Journalisten Andeutungen zu Hartmann gemacht. Auch gegenüber dem früheren niedersächsischen Innenminister Heiner Bartling soll er von einem Tippgeber berichtet haben. Der Ausschuss wird nun die Rolle der SPD-Spitzen noch intensiver prüfen müssen, ebenso die Zierckes, der nach Darstellung Edathys Hartmanns Informant war.
Was droht Hartmann?
Der Politiker meldete sich am Sonntag, um Edathy zu korrigieren. Dieser habe ihn damals angesprochen und von seinen Sorgen berichtet, für die Azov-Bestellungen strafrechtlich belangt zu werden. Hartmann habe versucht, Edathy zu beruhigen. „Auf angebliche Informationen des damaligen BKA-Präsidenten Ziercke griff ich dabei nicht zurück“. Trotzdem könnte sich die Staatsanwaltschaft für den Fall interessieren. Wer die Strafverfolgung anderer vereitelt oder dies zumindest versucht, macht sich selbst strafbar. Ein Geheimnisverrat wie bei Friedrich kommt dagegen nicht in Betracht, da Hartmann kein Amtsträger ist.
Was droht Edathy?
Der Ex-Politiker muss sich ab dem 23. Februar vor dem Landgericht Verden wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften verantworten. Die Azov-Bestellungen zählen nicht. Stattdessen wirft man ihm vor, sich über seinen Bundestags-Laptop zwischen November 2013 und Mitte Februar 2014 einschlägige Dateien heruntergeladen zu haben. Weiter als bis November reicht die amtliche Speicherung nicht zurück. Zudem fanden die Beamten bei den Büro-Durchsuchungen eine CD und einen Bildband. Darauf stehen bis maximal zwei Jahre Haft. Wahrscheinlicher erscheint aber eine Geldstrafe – wenn es überhaupt zu einer Verurteilung kommt. Eigentlich wäre auch nur das Amtsgericht zuständig. Die öffentliche Bedeutung des Falls und seine politischen Implikationen hätten aber eine Anklage vor dem Landgericht gerechtfertigt, meinten die Richter.
Wie wird sich Edathy verteidigen?
Bisher hat der nunmehr Angeklagte sämtliche Vorwürfe abgestritten. „Alles, was ich getan habe, war im legalen Bereich und hätte nie öffentlich werden dürfen.“ Er schilderte sich selbst in einem Interview als „Gegner von Kinderpornografie“. Offenbar will er nun darlegen, dass andere, nicht aber er selbst über Bundestagsserver auf Kinderporno-Dateien zugegriffen haben. Ein politisches Comeback ist unwahrscheinlich, er selbst schließt es wohl auch für sich aus. Medienberichten zufolge hatte Edathy sich nach Bekanntwerden der Vorwürfe erst nach Spanien zurückgezogen und lebt zurzeit in Nordafrika. Er wolle sich eine neue Existenz aufbauen, heißt es. In seinen Facebook-Einträgen beklagt er Medienhetze und sieht sich als Opfer einer rechtsblinden Justiz.