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Tagung der Finanzminister im Rat der Europäischen Union. Ohne höhere Beitragszahlungen aus Deutschland ist das EU-Programm nicht zu schaffen.
© picture alliance/dpa

Deutschland in Europa: Berlin soll es richten

Die kommende EU-Ratspräsidentschaft stellt die Bundesregierung vor große Herausforderungen. Das Tauziehen um den Haushalt wird mühsam.

[Der Text erschien zuerst in der gedruckten Beilage "Deutschland in Europa", einem Projekt mit Masterstudierenden der Universität Hamburg]

Beim letzten Mal freuten sich die Minister und ihre Kanzlerin über einen grandiosen Erfolg. Als die Bundesregierung 2007 die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union übernahm, standen Angela Merkel und ihre Kollegen zunächst vor einem Scherbenhaufen. Die geplante neue Verfassung für die EU war am Votum der Bürger in Frankreich und den Niederlanden gescheitert, Europa schien am Ende. Doch unter dem Vorsitz der Deutschen kam der Prozess wieder in Gang – und ermöglichte den Neustart der Union mit dem noch im selben Jahr unterzeichneten Lissabonner Vertrag.

13 Jahre später ist es wieder so weit. Ab Juli übernimmt erneut die Bundesregierung den Vorsitz in allen Gremien des Rates der EU und damit sehr viel Verantwortung. Wer mit den Verantwortlichen in Berlin und Brüssel spricht, erfährt schon heute, dass sich die europäischen Aufgaben der Bundesregierung kaum von den innenpolitischen unterscheiden: Klimaneutralität bis 2050, Migration, digitale Souveränität, Rechtsstaatlichkeit und die Beziehungen zu China. „Die deutschen Prioritäten stimmen mit der Agenda der EU ziemlich gut überein“, meint auch Josef Janning, der bis Dezember das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations geleitet und die Europapolitik über Jahrzehnte begleitet hat. Dadurch könne die Bundesregierung die eigenen Themen auf europäischer Ebene voranbringen.

Höchst strittig ist unter den Mitgliedsstaaten der Union die Aufstellung des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR), der den Haushalt der EU von 2021 bis 2027 festlegt. Dabei hatte die EU-Kommission bereits zum Herbst 2019 eine Einigung von den Staats- und Regierungschefs gefordert. Auch der für den Haushalt zuständige Vizepräsident des EU-Parlaments Pedro Silva Pereira mahnt: „Jede weitere Verzögerung der MFR-Verhandlungen schadet der europäischen Wirtschaft.“ Ein nahtloser Übergang zwischen den Finanzperioden sei sehr wichtig, um die Höhe der öffentlichen Investitionen beizubehalten. Noch hofft er, dass man sich unter dem derzeitigen kroatischen Ratsvorsitz einigt. „Wenn man realistisch ist, muss man aber wohl davon ausgehen, dass uns dieses Thema in den Schoß fällt und wir es dann auch lösen müssen“, fürchtet dagegen der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU). Wenn der Finanzrahmen für die Zeit ab 2021 nicht bis zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft ausgehandelt sei, wäre das „ziemlich bitter“ für Europa.

Brexit hinterlässt Lücke im Haushalt

Denn der Brexit wird eine große Lücke im europäischen Haushalt hinterlassen. Die bisherigen Verpflichtungen von einem Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU müsste man als Ausgleich erhöhen. Einige Länder, darunter Deutschland, sperren sich aber bislang dagegen. „Entweder Deutschland gibt diese dogmatisch dumme Position auf oder es kann den mehrjährigen Finanzrahmen und die daran gebundenen politischen Ziele von Digitalisierung, über Klimaneutralität bis hin zu einer anderen Migrationspolitik in der Pfeife rauchen“, warnt Jürgen Trittin, der außenpolitische Vordenker der Grünen.

Auch in diesen Themenfeldern braucht es dringend Antworten. „Wir können davon ausgehen, dass wir uns in unserer Präsidentschaft auch mit den beiden großen Herausforderungen Haushaltsplanung und Brexit beschäftigen müssen. Dies darf aber nicht alle anderen Vorhaben überlagern“, hofft Kirsten Scholl, die als Abteilungsleiterin für Europapolitik des Wirtschaftsministeriums zusammen mit einem Kollegen aus dem Auswärtigen Amt die deutsche EU-Politik koordiniert. Die Diskussionen zur Migrationspolitik seien im Rat bislang wegen verhärteter Fronten bewusst ausgespart worden, sagt EU-Parlamentarierin Lena Düpont (CDU). „Wir haben eine neue Kommission, eine neue Ratspräsidentschaft und eine neue Legislaturperiode im Parlament. Ich glaube, dass da Dinge zusammenfallen, die sehr glücklich sein könnten.“

Auch der EU-China-Gipfel im September in Leipzig habe während der deutschen Ratspräsidentschaft einen hohen Stellenwert, erwartet Grünen-Außenpolitiker Trittin. Die EU hoffe mit China ein Abkommen zu vereinbaren, um europäischen Firmen auf dem chinesischen Markt die gleichen Chancen zu ermöglichen, wie die EU sie chinesischen Investoren bietet. Hierbei „wird sich dann auch zeigen, ob Deutschland tatsächlich bereit ist, dieser Verantwortung nachzukommen und nicht wieder nebenher seine ganz eigene deutsche China-Politik macht, die im Wesentlichen dazu dienen soll, die Absatzmöglichkeiten der Chemie-, Automobil- und Maschinenbauindustrie zu verbessern“, mahnt Trittin.

Einzelgänger haben in der EU wenig Einfluss

Wenn der Balanceakt zwischen den eigenen und den europäischen Interessen gelingt, kann die EU-Ratspräsidentschaft einem Land viele Gestaltungsmöglichkeiten verleihen. So ließen sich eigene Schwerpunkte im Gesetzgebungsverfahren setzen, erklärt Europa-Experte Janning. Einzelgänger haben in der EU nur wenig Einfluss. „Die Präsidentschaft erfordert es, als ehrlicher Makler zu handeln. Insofern sind wir zurückhaltend in den Verhandlungen“, verspricht Kirsten Scholl, die Europafachfrau des Bundeswirtschaftsministeriums. Zudem muss die Bundesregierung abwarten, was die derzeitige kroatische Ratspräsidentschaft hinterlassen wird, bevor sie das eigene Programm festlegt.

Wichtiger noch als die vorausgehende sind aber die beiden folgenden Präsidentschaften. Die enge Absprache von drei verknüpften Ratsvorsitzen ermöglicht es, Themen über anderthalb Jahre hinweg zu bearbeiten. Den Staffelstart der Trio-Präsidentschaft tritt Deutschland im Juli zusammen mit Portugal und Slowenien an.

Neben den abgearbeiteten Gesetzesvorlagen, lasse sich der eigentliche Erfolg vor allem daran messen, inwieweit die eigenen Projekte von den anderen Ländern des Trios weiterverfolgt werden, konstatiert der Hamburger Politikwissenschaftler Andreas Grimmel. Da machen die beiden Partner zumindest gute Hoffnung. Schon jetzt arbeite man auf jeder Ebene „exzellent“ mit der Bundesregierung zusammen, versichern das portugiesische und slowenische Außenministerium.

Deutschland guter Mediator

Aber wird das reichen? „Es wird immer gesagt, alle warten auf die deutsche Präsidentschaft, als wäre es möglich, dass wir alles erledigen“, meint Scholl. „Ich will nicht sagen, das ist unrealistisch, aber da wird zu viel in eine Präsidentschaft hineingelegt.“

Gleichzeitig glaubt aber auch sie, dass Deutschland mit seiner Erfahrung und seinem großen Regierungsapparat gut gerüstet sei, um die Herausforderungen zu bewältigen. Europa-Experte Janning hält Deutschland sogar für den qualifiziertesten Mediator. Die Interessen in Europa seien heute so vielfältig, dass man bei fast jedem Thema einen Kompromiss eingehen müsse. „Wenn man gut im Management dieses Prozesses ist, dann hat man eine ziemliche Gestaltungschance“, meint er. „Das ist eine Position, die, nach meiner Erfahrung, außer Deutschland kein Mitgliedsstaat in der europäischen Union hat.“

Julian Schröder, Christina Rech

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