Olympia-Bewerbung: Berlin muss aus der Niederlage lernen
So sicher war man sich in Berlin, hier eine klare Mehrheit zu haben – das genaue Gegenteil ist jetzt der Fall. Das ist ein echter Warnruf, weit über Olympia hinaus. Es muss auch ohne Olympia alles das vorangebracht werden, was mit Olympia geschehen sollte. Ein Kommentar.
Die eigene Bedeutung überschätzt, den Gegner unterschätzt – so lautet das Fazit des zweiten vergeblichen Versuchs, nach 1936 wieder Olympische Spiele nach Berlin zu holen. Aber wenn die Stadt bereit ist, aus dieser Niederlage zu lernen, ist viel gewonnen – womöglich sogar mehr, als durch den Zuschlag oder gar die Spiele selbst zu gewinnen gewesen wäre. Und auch ein Trost liegt schon bereit: Berlin ist, unter anderem, daran gescheitert, was die Stadt sonst so faszinierend macht: an ihrer Unberechenbarkeit. Aber eben auch an Überheblichkeit und Bequemlichkeit. Das Gute ist: Daran lässt sich arbeiten.
Für die Verantwortlichen der Berliner Bewerbung war es schlicht unvorstellbar, dass auch eine kleinere Stadt Chancen haben könnte – trotz der „Reform-Agenda“ des IOC, die genau das aber vorsieht. Ebenso unvorstellbar, dass ein anderes als das eigene Konzept als „faszinierend“ bezeichnet werden würde – aber genau so ist es gekommen. Wie das bloß passieren konnte, erschließt sich dem Ehrlichen bei der Suche nach einer Idee der Berliner Bewerbung über den Wunsch, die Spiele haben zu wollen hinaus: Es gab keine.
Berlin wirke müde, hatte der „Economist“ vor ein paar Wochen festgestellt, und so war im Wesentlichen auch die Kampagne – nicht mitreißend genug und zuweilen sogar uninspiriert. „Wir wollen die Spiele“, der offizielle Slogan, ist ein trotziger, selbstbezogener Ruf im Vergleich zum begeisternden „Feuer und Flamme“ aus Hamburg. Die legitime Frage nach dem Sinn der Bewerbung wurde plattgewalzt mit dem Argument, Olympia sei eine Chance – aber hängen blieb bei vielen nur: um Dinge zu erledigen, die sowieso zu erledigen sind. Das hat nicht gereicht.
Die Bewerbung ist nicht an ihren Gegnern gescheitert
Wie zum Hohn der eigenen Bemühungen, den Dialog mit der Stadt zu suchen, setzte die Berliner Kampagne in den Minuten der Niederlage noch einen zynischen Tweet ab: „Wir danken allen Kritikern für die ehrliche Debatte – Eure Befürchtungen bleiben aus – Schulen und Kitas wird es also weiterhin geben.“ Nein, die Gegenkampagne war nicht „ehrlich“. Aber die Bewerbung ist nicht an ihren Gegnern gescheitert – jedenfalls nicht an denen in der Stadt.
DOSB-Präsident Hörmann hat in seiner Begründung darauf hingewiesen, was besonders für Hamburg sprach: die Stadtgesellschaft. Die gibt es so nicht in Berlin. Aber die Frage wäre gewesen: Was tritt an ihre Stelle, um einer Bewerbung Berlins den nötigen Rückhalt zu verschaffen? Berlin war so stolz auf sein „Konzept“, das aus den Gegebenheiten abgeleitet wurde, dass gar nicht auf den Schirm kam, ein anderes könnte besser sein, nur weil es anders ist. Aber genau so kam es: Das „Kompakte“ an Hamburgs Konzept fand der DOSB ganz besonders gut. Und schließlich der Schock: das Abstimmungsverhalten der Sportverbände. So sicher war man sich in Berlin, hier eine klare Mehrheit zu haben – das genaue Gegenteil ist jetzt der Fall. Wenn dahinter nicht finstere Machenschaften stecken, ist das ein echter Warnruf, weit über Olympia hinaus.
Ein Jahr harte Arbeit liege hinter den Bewerberstädten, hat Hörmann gesagt. Aber für Berlin geht die Arbeit jetzt erst so richtig los: Es muss auch ohne Olympia alles das vorangebracht werden, was mit Olympia geschehen sollte. Das mag mühsam sein, so aus der Enttäuschung heraus. Aber eines sollte die Stadt jetzt auch nicht: sich unterschätzen.