Armutsbericht: Berlin ist Armuts-Hochburg
Im vergangenen Jahr ist die Armutsgefährdung in Deutschland so stark gestiegen wie nie zuvor. Besonders betroffen: der Ballungsraum Berlin.
Der Paritätische Gesamtverband hat die Bundesregierung für die wachsende Armut in Deutschland mitverantwortlich gemacht. Die Quote der Armutsgefährdeten habe seit 2006 stetig zugenommen und 2011 mit 15,1 Prozent einen neuen Spitzenwert erreicht, heißt es im neuesten Armutsbericht des Verbandes, der am Donnerstag in Berlin präsentiert wurde. „Diese Entwicklung ist auch politisch verursacht“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Er kritisierte den Abbau öffentlich geförderter Beschäftigung sowie eine „steuerpolitische Umverteilung von unten nach oben“. Auch eine Reihe von Sparmaßnahmen wie die Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger und der Energiekostenkomponente beim Wohngeld wirkten armutsverstärkend.
Berlin ist dem Armutsbericht zufolge neben dem Ruhrgebiet bundesweit das zweite große Ballungsgebiet mit dem schlimmsten Befund und „geradezu dramatischen Verwerfungen“. Die Quote der Armutsgefährdeten stieg hier in nur fünf Jahren um fast 25 Prozent. Im vergangenen Jahr legte sie weiter zu und sprang um 1,9 Punkte von 19,2 auf 21,1 Prozent. Getoppt wird das nur noch durch die Quoten in Bremen (22,3 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (22,2 Prozent). Brandenburg hingegen gehörte bisher mit Hamburg und Thüringen zu den Ländern, in denen die Armutsgefährdung kontinuierlich zurückging. Dieser Trend ist nun allerdings auch gestoppt, die Quote dort erhöhte sich 2011 wieder von 16,3 auf 16,9 Prozent.
Bei der Ursachensuche für das Berliner Armutsphänomen stechen drei Auffälligkeiten ins Auge. Berlin kommt auf eine deutlich höhere Aufstockerquote als andere Regionen; das bedeutet, der Niedriglohnsektor in der Stadt ist besonders groß. Vergleichsweise groß sind auch die so genannten Bedarfsgemeinschaften in Berlin; wenn hier ein Haushalt armutsgefährdet ist, trifft es mehr Familienmitglieder als anderswo. Und dann spielt auch noch das Phänomen des Speckgürtels eine Rolle. Die Wohlhabenderen ziehen vor die Tore der Stadt und bauen sich dort ihre Häuschen. Das lässt sich auch aus den Statistiken der Umlandlandkreise ablesen. Im Kreis Teltow-Fläming etwa liegt die Armutsgefährdungsquote inzwischen bei elf Prozent, im Kreis Potsdam-Mittelmark beträgt sie nur noch 7,5 Prozent – mit weiter fallender Tendenz.
Der Paritätische Gesamtverband forderte von den Regierenden ein Sofortprogramm, um der Armut entgegenzuwirken. Schneider bekräftigte die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, Mindestrenten und einem Mindestarbeitslosengeld I sowie dem Wiederausbau öffentlich geförderter Beschäftigung, der Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze sowie einer Reform des Wohngeldes. Ergänzt werden müssten diese Sofortmaßnahmen durch langfristige strukturpolitische Maßnahmen besonders in der Bildung und bei der Jugendhilfe. Spätestens seit dem Jahr 2011 ist nach Einschätzung des Verbandes die Lage in Deutschland von einer noch relativ konstanten Armutsgefährdung hin zu einer deutlichen Zunahme gekippt. Aufgrund der Daten des vergangenen Jahres müsse im Mehrjahresvergleich „ein klarer Aufwärtstrend“ festgestellt werden - trotz sinkender Arbeitslosenquoten. Laut Schneider ist dies ein Hinweis auf das Problem nicht auskömmlicher Beschäftigungsverhältnisse. Er sprach von „einer Amerikanisierung des Arbeitsmarktes“, die von Seiten der Politik teilweise „bewusst vorangetrieben“ worden sei.
Besonders dramatisch ist die Lage dem Bericht zufolge in den Bundesländern Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Sachsen-Anhalt und Sachsen mit Armutsgefährdungsquoten von rund 20 Prozent und mehr. Der am deutlichsten negative Trend aber sei in Nordrhein-Westfalen und hier besonders in den Städten des Ruhrgebiets festzustellen. Schneider sprach hier von einem „armutspolitischen Erdrutsch“. Besorgniserregend sei die Entwicklung aber auch in Berlin und in Rheinland-Pfalz. Als armutsgefährdet gilt jemand, dessen Einkommen weniger als 60 Prozent des Durchschnittswerts beträgt. (mit AFP)
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