Prozess wegen Spionage für den Iran: Berlin im Visier der Agenten
Ein Pakistaner spionierte in Charlottenburg den SPD-Politiker Reinhold Robbe aus. Ein britischer Undercover-Agent täuschte in Kreuzberg linke Aktivisten. Und von Tegel aus schmuggelte ein Mongole einen Abtrünnigen aus dem Land.
Verraten hat er sich nie. Über all die Jahre kein falsches Wort. Nicht in den Kneipen, nach sechs, sieben Bier. Nicht, als er Freunden anbot, seinen Laptop samt Internetstick zu nutzen. Nicht, als sie alle mit seinem Kleinbus tagelang durch Europa reisten.
Mark Kennedy war spendabel, fuhr Ski, ging klettern, ließ sich ab und zu ein Tattoo stechen. „Mark und ich waren Freunde. Viele haben ihm geglaubt“, sagt Jason Kirkpatrick, 48 Jahre, Übersetzer, weit vernetzter Kapitalismuskritiker. „Mark war gut, in dem, was er tat.“
Kirkpatrick sitzt vor ein paar Tagen in einem Café in Berlin-Kreuzberg. Vor zehn Jahren verbrachte er mit Kennedy einen Block weiter im „Wild at Heart“, einer Traditionskneipe, einen Abend. Sie zechten, sprachen über Politik, Musik, Fußball. „Mark“, sagt Kirkpatrick, „war immer sehr offen zu allen.“
Mark Kennedy musste Vertrauen erzeugen. Er war Undercover-Agent.
Kennedy, wohl 1969 in London geboren, kannten sie in Berlin als Mark Stone. Seit 2003 war er europaweit als Agent des britischen Staatsschutzes unterwegs und schickte Informationen über Aktivisten und Proteste an seinen Führungsoffizier - ein Einsatz, der sieben Jahre dauerte. Im Oktober 2010 fand eine von ihm getäuschte Freundin in England einen Pass, der nicht auf den Namen Mark Stone ausgestellt war, dazu Unterlagen, die nicht zur Legende des Agenten passten. Englische Aktivisten machten den Fall öffentlich, Kennedy tauchte ab.
Bis heute ist ungeklärt, was der Agent in Berlin genau tat. Der Enttarnung folgte ein Skandal. Oppositions- und Regierungspolitiker verlangten Aufklärung. In einer Sitzung des Innenausschusses im Bundestag teilte Jörg Ziercke, der frühere Präsident des Bundeskriminalamts mit, dass deutsche Behörden vage über Kennedys Einsatz informiert waren. So hatte sich Baden-Württemberg - wo 2009 der Nato-Gipfel tagte - von britischen Stellen über Protestpläne informieren lassen. In Berlin war der Agent demnach nur, um seine Legende als Aktivist zu pflegen, nicht mit Spähauftrag. Doch als Bundesinnenminister Thomas de Maizière, CDU, im Sommer 2016 seine Amtskollegin Theresa May bat, Kennedys Deutschlandtour zu untersuchen, lehnte May, inzwischen Premierministerin, ab. Das könnte sich in diesen Wochen ändern.
Ziel von Spionen sind nicht nur Berliner Politiker, sondern Oppositionelle im Exil
In Berlin sind vielleicht sogar mehr Agenten unterwegs als während des Kalten Krieges - wobei es Zahlen dazu nicht gibt. Und anders, als man nach den Enthüllungen Edward Snowdens meinen könnte, geht es dabei oft traditionell zu: observieren, Namen, Routen, Nummern sammeln, Daten an Verbindungsleute weitergeben. Zuweilen sind das Mitarbeiter der Botschaften - die sich seit der Wende fast alle in Berlin befinden.
Egal ob verdeckte Ermittler wie Mark Kennedy, angeheuerte Spitzel oder hauptamtliche Spione: Für Berlin interessieren sich Späher nicht nur, weil hier Bundesregierung und Behörden ihren Sitz haben. Sondern vor allem wegen der vielen Oppositionellen, Aktivisten, aber auch Schmuggler und Schleuser, die sich in der Stadt treffen.
Bundesweit gibt es im Schnitt 20 Spionageverfahren im Jahr. Zuletzt ermittelten deutsche Behörden gegen Iraner, Türken, Inder, Libyer, Marokkaner, Syrer, Libanesen, Algerier, Sudanesen. Oft forschten diese Exilanten aus, zum Beispiel Kurden. In drei, vier Fällen pro Jahr wird Anklage erhoben. Meist geschieht das vor dem Berliner Kammergericht.
Mark Kennedy und Jason Kirkpatrick waren oft in Kreuzberg unterwegs. Das Café, in dem Kirkpatrick von seiner Zeit mit dem Agenten berichtet, befindet sich in der Reichenberger Straße. „Um die Ecke war ich mal essen mit Mark.“ Ihn lernte er vor den Protesten gegen das G-8-Treffen in Schottland 2005 kennen. „Er wollte Kontakt zu Aktivisten aus Berlin.“ Kirkpatrick, 48 Jahre, Übersetzer, spricht mit dem freundlich-sanften Akzent vieler Deutsch-Amerikaner. Einst war er der erste grüne Vizebürgermeister einer US-Stadt, Arcata in Kalifornien. Nach Berlin zog er 2003, traf Globalisierungskritiker aus Deutschland, Irland, Großbritannien - war also eine lohnende Zielperson. „Mark hat mich sechs Mal besucht“, sagt Kirkpatrick. „Ich habe sogar bei ihm übernachtet, nördlich von London.“ Die Wohnung? Ein Dienstapartment.
Agenten wollen Informationen. Nicht immer brauchen sie diese jedoch, um Netzwerke auszuforschen. Manchmal ist eine Person selbst das einzige Ziel.
Vor dem Kammergericht beginnt nun der Prozess gegen einen Pakistaner, der keine Aktivisten, sondern einen bekannten SPD-Politiker ausgespäht haben soll. Reinhold Robbe, 1954 in Ostfriesland geboren, Sozialdemokrat, Ex-Wehrbeauftragter des Bundes, ist bereit, über seinen Fall zu sprechen. Das ist schwierig, denn bei Spionage sind die Behörden vorsichtig, viele Details kennt Robbe selbst nicht. Der Pakistaner, 31, lebte als Ingenieurstudent in Bremerhaven. „Bewusst“, sagt Robbe „habe ich den Verdächtigen nicht gesehen.“
Pläne für Attentat als Vergeltung?
Der Pakistaner soll Robbe über Monate observiert haben - und dafür vom iranischen Geheimdienst instruiert und bezahlt worden sein. Davon geht die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe aus. Die Ermittler des Generalbundesanwalts sind zuständig, wenn die „innere oder äußere Sicherheit“ der Bundesrepublik „in besonderem Maße“ berührt wird. Einige vermuten, Robbe kam als Attentatsziel infrage. Die Teheraner Regierung, so die Annahme, erwog Vergeltungsschläge auf Persönlichkeiten im Westen, falls die israelische Luftwaffe iranische Atomkraftwerke angreift. Irans Botschaft war telefonisch nicht zu erreichen.
„Nicht klar“, sagt Robbe, „warum man genau mich ausspionierte.“ Kurze Pause. „Na, es dürfte schon mit meiner Sicht auf die Lage im Iran zu tun haben.“ Robbe hat nicht nur vor atomarer Aufrüstung durch die Iraner gewarnt, er hat auch die Menschenrechtslage dort angeprangert, wo Gotteslästerung, Ehebruch und Homosexualität hart bestraft werden. Vor allem war Robbe 2015 - in jenem Jahr, in dem der mutmaßliche Spion eifrig Notizen gemacht haben soll - der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
Robbe lebt in Charlottenburg, der Sitz der Gesellschaft ist in Mitte. In diesen Bezirken war der Pakistaner der Anklage zufolge 2015 unterwegs, als die Teheraner Unterhändler in Wien über das Atomabkommen mit den Uno-Vetomächten verhandelten. Im Juli 2016 verhafteten ihn Fahnder des Bundeskriminalamts in Bremerhaven. Die Leitung der dortigen Hochschule äußert sich nicht, nur so viel: Der Mann ist exmatrikuliert.
Warum die Iraner einen Pakistaner angeworben haben sollen, wo er in Berlin wohnte und was er sonst so tat, ist erst im Prozess zu erfahren. Über Mark Kennedy dagegen ist inzwischen viel bekannt. In 20 Ländern soll der verdeckte Ermittler unterwegs gewesen sein. Er pflegte Liebschaften, schloss Freundschaften, gab Informationen nach London weiter.
„Dabei wurde ich am Anfang sogar stutzig“, sagt Kirkpatrick, „Denn Mark hatte schon einen Internetstick am Laptop, als noch niemand so was benutzte, damals war das noch viel zu teuer.“ Zudem verfügte der Brite immer über Geld, organisierte Reisen, hatte viel Zeit. Kirkpatrick erinnert sich an die Kneipenabende: Sagte jemand, man müsse mal wieder ein St.-Pauli-Spiel anschauen, erwähnte Mark, dass er die Hamburger Fußballer schon immer gut fand. Später erfuhr Kirkpatrick, dass Mark seine Gesprächspartner routiniert spiegelte, ihnen also ähnliche Vorlieben vorgaukelte. „Vor anderen hat er sich als Fan eines anderen Vereins ausgegeben“, sagt Kirkpatrick. „Das Gleiche, wenn es um Musik ging.“
Aus dem Beamten, Ehemann, Vater wird ein Aktivist, Single, kinderlos
Inzwischen hat Kennedy den Dienst quittiert und an einer Dokumentation mitgewirkt. Im Netz ist der englischsprachige Kurzfilm unter dem Namen „Confessions of An Undercover Cop“ zu finden - Geständnisse eines verdeckten Ermittlers. Demnach begann er 1990 bei der Londoner Polizei. Als Lockvogel überführte er Dealer. Eine Spezialeinheit wurde auf ihn aufmerksam, in Rollenspielen trainierte er seine Legende als linker Abenteurer. Aus Mark Kennedy - rasierter Beamter, Ehemann, Vater - wird Mark Stone - unrasierter Industriekletterer, Single, kinderlos. Kennedy sagt, er habe in den sieben Jahren keine Polizeiwache betreten, der Tarnung wegen.
Das stimmt insofern nicht ganz, als Kennedy alias Stone in Berlin verhaftet wurde. Bei einer Demonstration im Dezember 2007 steckte er eine Mülltonne in Brand. Kennedy kam kurz in Gewahrsam. Die Ermittlungen wurden eingestellt, ohne dass die Staatsanwaltschaft erfuhr, dass es sich beim vermeintlichen Randalierer „Mark Stone“ um den Polizisten Mark Kennedy mit falschem Pass handelte. Genaueres ist nicht zu erfahren. Die Akten waren, so der Berliner Senat, „nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist zwingend zu vernichten“.
Im Vereinigten Königreich aber wird in diesen Wochen über die Klagen von Betroffenen entschieden - auch über die von Kirkpatrick aus Kreuzberg. Möglich, dass die britische Regierung doch offenlegen muss, was Kennedy in Berlin tat.
In Deutschland sind die Verfassungsschutzämter für Spionageabwehr zuständig. Verdächtigen sie beispielsweise einen Reisenden, Studenten oder Händler der Spionage, können die Verfassungsschützer ihn abhören und observieren. Anders als Polizisten müssen sie sich nicht vor Ermittlungsrichtern rechtfertigen. Hinweise auf Spione können von Diplomaten, V-Leuten oder dem Bundesnachrichtendienst kommen, wenn der selbst ausländische Behörden ausforscht. Haben Verfassungsschützer ausreichend Anhaltspunkte gefunden, informieren sie die Kriminalämter. Nur die Polizei darf Verdächtige verhaften.
Wird ein Agent festgenommen, stehen den Anklägern mehrere Paragrafen zur Verfügung. Ausländer werden oft wegen „geheimdienstlicher Agententätigkeit“, Bundesbürger wegen „Landesverrats“ oder auch „Auskundschaften von Staatsgeheimnissen“ belangt. Erst vor einigen Wochen hat das Kammergericht einen Bundesbürger tamilischer Herkunft zu drei Jahren und sechs Monaten Haft wegen Agententätigkeit verurteilt. Der Mann arbeitete in der Ausländerbehörde Bielefeld und sammelte Daten über Sikhs - in Indien kämpft die Minderheit für einen eigenen Staat. Die Daten soll er in Berlin indischen Agenten geliefert haben.
Zuweilen sind Ermittlungen wegen Spionageverdachts politische Herausforderungen. Was, wenn der Agent für einen verbündeten Staat arbeitet? Wenn er Polizist ist, der es nicht auf staatliche, sondern alternative Strukturen abgesehen hat? Oder wenn, wie im Fall Mark Kennedy, gleich beides zutrifft?
Das Büro des Berliner Innensenators Andreas Geisel, SPD, teilt mit, dass nach dem Kennedy-Skandal in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe neue Kriterien für Einsätze „ausländischer Dienststellen“ festgelegt wurden, Details sind geheim.
Betäubt, gefesselt, entführt
Doch selbst wenn es sich um Agenten politisch nicht so eng verbündeter Staaten handelt, gehen deutsche Beamte zuweilen sehr diplomatisch vor.
In London wurde 2011 ein Mongole festgenommen. Der Mann soll vor Jahren einen mongolischen Exilanten in Frankreich betäubt, nach Berlin gefahren, in einen Rollstuhl gesetzt, am Flughafen Tegel als kranken Diplomaten ausgegeben und in ein Flugzeug nach Ulan Bator verfrachtet haben. Die Entführung flog zu spät auf, der Mann wurde erst bei anderer Gelegenheit in London verhaftet und wegen Verdachts der Verschleppung nach Berlin gebracht.
Nun verlangt der Paragraf, der Verschleppung unter Strafe stellt, dass der Entführte aus „politischen Gründen“ mitgenommen wurde - und das sahen die Ermittlungsrichter nicht als erwiesen an. Der Verdächtige wurde entlassen und reiste aus. Eine Woche später flog Angela Merkel in die Mongolei zum lang geplanten Regierungsbesuch.
Im Prozess gegen Irans mutmaßlichen Agenten wird Reinhold Robbe als Zeuge auftreten. Er hat mit Staatsschützern darüber gesprochen, ob für ihn eigentlich noch Gefahr besteht. „Derzeit sei dies nicht der Fall“, sagt Robbe unaufgeregt. „Ich vertraue den Fachleuten.“ Wieder kurze Pause. „Gut, die Haustür schließe ich inzwischen zweimal ab.“
Jason Kirkpatrick ist immer noch wütend. „Mark hat mich ausgenutzt“, sagt er. „Das ist richtig scheiße.“ Und nein, so leicht stecke man einen Verrat nicht weg. Nach der Enttarnung seines vermeintlichen Freundes hat Kirkpatrick seine Passwörter zu E-Mail-Konten und Computern geändert, sich mit anderen Betroffenen und Anwälten beraten, schließlich im Vereinigten Königreich auf Auskunft über seinen Fall geklagt.
Und was macht Mark Kennedy heute? Zuletzt hat er wohl für eine US-Sicherheitsfirma gearbeitet. Als Risikoanalyst.