„Unsere moralische Verpflichtung“: Bennett will neuen Anlauf zur Vermittler im Ukraine-Krieg nehmen
Überraschend flog Israels Premier zum russischen Staatschef nach Moskau und dann weiter nach Berlin. Bennett will auch weiter seine Verbindungen nutzen.
Der israelische Regierungschef will nach eigenen Angaben seine Bemühungen um einen Dialog im Ukraine-Konflikt fortsetzen. „Wir werden weiter helfen, solange wir darum gebeten werden“, sagte Bennett am Sonntag während der wöchentlichen Kabinettssitzung in Jerusalem.
„Auch wenn die Chancen nicht groß sind, wenn es auch nur eine kleine Öffnung gibt, und wir Zugang zu allen Seiten und die Fähigkeiten haben, sehe ich es als unsere moralische Verpflichtung an, jeden Versuch zu unternehmen.“
Zu konkreten Inhalten seiner Vermittlungsbesuche in Moskau und Berlin könne er sich nicht äußern, erklärte Bennett. Bennett hatte sich am Samstag in Moskau überraschend mit Kremlchef Wladimir Putin getroffen.
Bennett ist der erste westliche Spitzenpolitiker, der Putin seit Kriegsbeginn in Moskau besucht hat. Anschließend reiste er weiter nach Berlin und beriet sich dort mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über den Ukraine-Konflikt.
Reise mit Einwilligung aller Beteiligten
Am Sonntag telefonierte Bennett zum dritten Mal binnen 24 Stunden mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Bennett sagte, er habe die Reisen mit Einwilligung aller Beteiligten unternommen.
Nach seinem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau reiste Bennett in der Nacht zum Sonntag weiter nach Berlin und kam dort mit Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen. Das teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf Twitter mit.
In einer gemeinsamen Erklärung hieß es, Scholz und Bennett hätten vereinbart, „in der Angelegenheit weiterhin eng in Kontakt zu bleiben - gemeinsames Ziel bleibe es, den Krieg in der Ukraine so schnell wie irgend möglich zu beenden.“ Grund für den kurzfristig anberaumten Besuch dürfte allerdings Bennetts vorherige Unterredung mit Putin sein. Scholz hatte Bennett erst vor drei Tagen in Jerusalem besucht.
Vor der Ankunft in Berlin hatte Bennett bereits mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen, wie dieser selbst auf Twitter mitteilte. Ein israelischer Regierungssprecher bestätigte dies.
Der israelische Premier Bennett war am Samstag überraschend zu einem Gespräch mit Putin nach Russland gekommen. Bennett halte sich zu einem kurzen Arbeitsbesuch in Moskau auf, hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Samstagabend nach Angaben der Agentur Interfax gesagt. „Die Situation rund um die Ukraine wird diskutiert.“ Zu dem Gespräch werde es aber keine Kreml-Mitteilung geben, hieß es.
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Das Büro Bennetts bestätigte den Besuch ebenfalls und gab an, das Treffen habe zweieinhalb Stunden gedauert. Aus Regierungskreisen in Jerusalem hieß es, das Gespräch habe drei Stunden lang gedauert.
Bennett habe sich mit den USA, Deutschland und Frankreich abgestimmt und sei „in ständiger Kommunikation mit der Ukraine“. Er habe mit Putin auch über die Lage der Israelis und der jüdischen Gemeinden angesichts des Konflikts gesprochen.
Im Ukraine-Konflikt ist Israel als Vermittler im Gespräch. Nach Medienberichten soll der ukrainische Präsident Selenskyj Bennett vor einer Woche gebeten haben, in Israel Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine auszurichten.
Nach Angaben von Bennetts Büro war bei dem Treffen mit Putin auch der israelische Wohnungsbauminister Seew Elkin zugegen, der bei der Übersetzung helfe. Elkin stammt aus der ukrainischen Stadt Charkiw und gilt als Putin-Kenner. Er hatte auch stets bei den Treffen von Bennetts Amtsvorgänger Benjamin Netanjahu mit Putin teilgenommen.
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Bennett sei am Samstag in den frühen Morgenstunden nach Moskau geflogen, im Anschluss an ein Gespräch mit Putin am Mittwoch, teilte sein Büro ferner mit. Als religiöser Jude darf Bennett nach seinen Glaubensgrundsätzen am jüdischen Ruhetag Sabbat nur dann reisen, wenn es um die Rettung von Menschenleben geht.
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Bennett hatte am Mittwoch auch mit Selenskyj telefoniert. Selenskyj, selbst jüdischer Herkunft, hatte sich zuletzt enttäuscht über seiner Ansicht nach mangelnde Unterstützung von Seiten Israels geäußert.
Nach Medienberichten hatte Bennett Bitten Selenskyjs um Waffenlieferungen abgelehnt.
Israel hat gute Beziehungen zu beiden Ländern, befindet sich daher aber auch in einem Zwiespalt. Es will seinen wichtigsten Bündnispartner, die USA, nicht verärgern, ist aber gleichzeitig aus strategischen Gründen vom Wohlwollen Moskaus abhängig, unter anderem in den Konflikten mit Syrien und dem Iran. (Tsp, dpa, Reuters, AFP)