Regierungsbildung in Israel: Benjamin Netanjahu ist am Zug
Israels Premier soll eine Regierung bilden. Sein Ziel ist eine große Koalition – doch Herausforderer Benny Gantz stellt sich quer. Und nun?
Es ist erst eine gute Woche her, da schien Benjamin Netanjahus Welt schwer zu wanken. Bei der Parlamentswahl hatte „King Bibi“ nicht den erhofften Sieg für seinen rechtsreligiösen Block einfahren können. Schlimmer noch, sein konservativer Likud musste sogar Stimmeneinbußen hinnehmen.
Doch nun soll es Israels Premier noch einmal versuchen: Staatspräsident Reuven Rivlin hat ihm den Auftrag erteilt, eine neue Regierung zu bilden. Schon nach der Wahl im April war Netanjahu damit gescheitert. Und auch diesmal dürfte es für ihn schwierig werden, das weiß er selbst und gibt sich ungewohnt demütig.
„Ich nehme den Auftrag an, den Sie mir erteilt haben. Nicht im Wissen, dass ich eine größere Chance hätte, eine Regierung zu bilden, sondern im Wissen, dass meine Unfähigkeit, dies zu tun, ein bisschen kleiner ist als die des Abgeordneten Gantz“, sagte er nach dem Treffen mit Präsident Rivlin.
Weder Netanjahu noch seinem Herausforderer Benny Gantz war es nach der Wahl am 17. September gelungen, eine nötige Mehrheit von 61 Sitzen zustande zu bringen. Gantz’ Bündnis Blau-Weiß kommt zwar auf 33 Sitze – und damit auf einen Sitz mehr als Netanjahus Likud-Partei –, kann allerdings nur eine Koalition mit 44 Sitzen formen. Netanjahus Bündnis käme dagegen auf 55 Sitze.
"Das Gebot der Stunde heißt Einheitsregierung"
Um diese Patt-Situation zu überwinden, bräuchte es eine große Koalition. Darin sind sich auch alle einig. „Das Gebot der Stunde heißt Einheitsregierung“, sagte Netanjahu, kurz nachdem er von Präsident Rivlin beauftragt worden war.
Gantz nannte das Vorhaben staatsmännisch „ein wünschenswertes Ziel, das nötig ist, die Gräben in unserem Land zu überwinden und eine stabile Regierung zu bilden, die fähig ist, die ernsthaften Probleme der israelischen Gesellschaft zu korrigieren.“ Doch wie eine solche Koalition aussehen und wer sie führen soll, darüber sind sich die beiden uneinig. Mit anderen Worten: Eine dritte Wahl innerhalb eines Jahres ist keineswegs ausgeschlossen.
Für den Ex-General hat die Sicherheit des Landes Priorität
Beide Politiker wollen regieren. Gantz will das aber erklärtermaßen ohne Netanjahu tun. Der ehemalige Chef des israelischen Militärs hat seine Karriere als Politiker Ende 2018 begonnen – mit dem Ziel, Netanjahu als Premier abzulösen.
Eine Regierung mit dem Likud? Für den 60-Jährigen grundsätzlich kein Problem. Sein Bündnis Blau-Weiß scheint sich in vielen Punkten mit Netanjahus Likud einig. Als der Regierungschef im Wahlkampf ankündigte, das Jordantal annektieren zu wollen, nannte Gantz das eine Kopie seiner eigenen politischen Pläne.
Er gilt zwar als liberal und säkular, ist allerdings kein Linker. Als General a.D. setzt er auf die Sicherheit des Staates Israel, selbst wenn das bedeutet, die Möglichkeit einer Zweistaatenlösung mit den Palästinensern weiter deutlich einzuschränken.
Doch Gantz versprach im Wahlkampf vor allem, in keine Regierung mit Netanjahu an der Spitze einzutreten. Der hat das Land immer weiter gespalten, steht obendrein unter Korruptionsverdacht und könnte demnächst in drei Fällen wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue angeklagt werden.
Anfang Oktober wird er von Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit vernommen. Dann wird entschieden, ob Anklage erhoben wird. Für Gantz, der beteuert, ihm ginge es weniger um persönliche Macht als um die Zukunft des Landes, ist Netanjahu keiner, der Israel weiter regieren sollte.
Eine große Koalition mit den Religiösen?
„Blau-Weiß unter meiner Führung ist nicht bereit, in einer Regierung mit einem Anführer zu sitzen, der sich einer schweren Anklage gegenübersieht.“ Es gehe nicht um Ministerposten oder eine Rotation an der Regierungsspitze, also einen Wechsel auf dem Posten des Premiers nach zwei Jahren.
Nur: Netanjahu will unbedingt Premier bleiben und hat Gantz vor vollendete Tatsachen gestellt, als er kurz nach der Wahl ein Bündnis mit seinen politischen Partnern – den Ultraorthodoxen und der rechtsnationalen Yamina – schmiedete
Bibi, der gewiefte Taktiker
Damit würde Gantz in einer großen Koalition ganz nach Netanjahus Geschmack zum kleinen Koalitionspartner schrumpfen, ohne nennenswerten politischen Einfluss. Das weiß auch der einstige Armeechef. Er setzt deshalb darauf, dass sein Konkurrent scheitert und er selbst mit der Regierungsbildung betraut wird. Womöglich mit besseren Chancen. Denn der Likud könnte mit der Macht vor Augen gegen Netanjahu putschen.
So weit ist es noch nicht. Netanjahu wird – ganz der gewiefte Taktiker – alles daran setzen, eine halbwegs tragfähige Koalition zu zimmern. Denn ihm ist klar: Kommt es zu Neuwahlen, sind seine Tage als Regierungschef womöglich gezählt.