Kabinettsklausur in Potsdam: Bei Künstlicher Intelligenz muss der Mensch im Mittelpunkt stehen
Die Regierung geht in Klausur, um eine Strategie für Künstliche Intelligenz zu entwickeln. Das ist eine große Herausforderung. Ein Kommentar.
Wer seine Leberflecken kontrollieren lassen möchte, muss heute zum Hautarzt gehen. Die Wartezeit ist oft lang, die Sorge groß, wenn ein Fleck ungewöhnlich aussieht. Ist das Hautkrebs? Künftig soll das von zu Hause aus per Smartphone-App gecheckt werden können: Ein Foto vom Fleck machen, kurz warten, schon kommt das Ergebnis – möglich ist das mit künstlicher Intelligenz (KI), mit der in Sekundenschnelle Daten ausgewertet werden können. Damit das funktioniert, muss das Programm aber lernen, wie ein harmloser Fleck aussieht und wie ein böser. Rund 70.000 Bilder sind dafür notwendig. Nur: Woher sollen die App-Entwickler die Fotos bekommen?
Die Regierung will solche Datenschätze Forschern und Entwicklern im Rahmen ihrer Strategie Künstliche Intelligenz deutlich leichter zugänglich machen. Weil eben nur dann Produkte wie die App in Deutschland entwickelt werden können – bevor es die Konkurrenz in China macht, wo es nahezu keinen Datenschutz gibt. Oder eine der Tech-Plattformen aus den USA, die wie Facebook oder Google auf gigantische Datenmengen zurückgreifen können.
Am Donnerstag wird die Regierung deshalb bei ihrer Kabinettsklausur im Hasso-Plattner-Institut eine KI-Strategie beschließen, die Deutschland weltweit führend im Bereich KI machen soll. Die Strategie dafür könnte gerade noch rechtzeitig kommen, damit Deutschland nicht abgehängt wird im Wettlauf um die Innovationsführerschaft. Gegen China, wo der Staat Milliarden in die KI-Forschung und -Entwicklung steckt. Und die USA, wo die Silicon-Valley-Firmen selbst Milliarden in KI investieren.
Bereits heute sind Geschäftsmodelle zunehmend datengetrieben, künftig aber gibt es kaum ein Produkt, das nicht „intelligent“ ist: autonom fahrende Autos, Sensoren, die ihren Träger eine halbe Stunde vorm Herzinfarkt warnen, digitale Sprachassistenten, die per Zuruf den vernetzten Haushalt managen.
Forscher in Deutschland halten
Will Deutschland einen Anteil haben an diesem lukrativen Markt, braucht es aber mehr als einen leichteren Zugang zu Daten. Die Strategie muss deshalb auch eine Antwort darauf geben, wie Forscher besser in Deutschland gehalten werden können. Führende KI-Institute klagen, dass ihnen im Wochentakt die besten Leute von Firmen und Laboren aus China und Amerika abgeworben werden. Eine Million Dollar wird dort angeblich für Spitzenkräfte gezahlt, ein Versorgungspaket für die Familie kommt noch dazu. Wie soll der TVÖD da mithalten?
Vielleicht gewinnt am Ende aber auch nicht immer der mit dem dicksten Scheck – sondern der mit dem attraktivsten Gesamtpaket. Da muss die Regierung mit ihrer Strategie nachlegen. Sie muss Forschern beispielsweise mit Hybridmodellen ermöglichen, Produkte und Dienste neben ihrer Forschung zu entwickeln. Dafür brauchen sie Testfelder, die nicht bis ins letzte Detail durchreguliert sind. Und eben Daten, die ihnen der Staat künftig zur Verfügung stellt – zunächst kostenlos, bevor er die Hand aufmacht, um seinen Anteil am möglichen Geschäftserfolg abzubekommen.
Doch diese Daten allein werden nicht reichen. Es braucht eine Art Treuhänder oder Datenpool, in den die Bürgerinnen und Bürger ihre – anonymisierten – Daten souverän einbringen und kontrollieren. Dazu werden sie aber nur bereit sein, wenn sie verstehen, wie nicht nur die Gesamtgesellschaft, sondern auch sie als Individuum davon profitieren können. Das zu vermitteln, bleibt eine wesentliche Aufgabe für die Regierung auch nach dem Beschluss der Strategie.
Der Mensch soll im Mittelpunkt von Deutschlands KI-Strategie stehen. Was sich nach Kirchentag anhört, könnte aber tatsächlich eine Chance – und vermutlich auch die einzige – sein, die Deutschland im Wettlauf gegen China und die USA hat. Gelingt dies, kann „KI made in Germany“ zum Markenzeichen werden und nicht nur europäische, sondern auch internationale Standards setzen.