Nach Mord an Boris Nemzow: Bedrohung aus Tschetschenien
Nach dem Mord an dem russischen Oppositionsführer Boris Nemzow führt die Spur nach Tschetschenien. Sein Weggefährte Ilja Jaschin stellt in Berlin seinen Bericht über das Regime von Ramsan Kadyrow vor.
Die Schüsse unweit des Kremls hallen bis heute nach. Der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow wurde am 27. Februar 2015 auf einer Brücke im Zentrum von Moskau mit fünf Schüssen in den Rücken getötet. Zwei Wochen später nahmen russische Ermittler den mutmaßlichen Attentäter fest: Saur Dadajew, Vize-Kommandeur eines tschetschenischen Bataillons. Tschetscheniens Republikchef Ramsan Kadyrow nannte Dadajew nach der Festnahme einen „echten Patrioten Russlands“. Wieder einmal führte die Spur eines politischen Mordes in Russland in den Nordkaukasus.
„Ich habe keine Zweifel, dass Kadyrow in direktem Bezug zum Mord an Boris Nemzow steht“, sagte der russische Oppositionelle Ilja Jaschin am Donnerstagabend in Berlin. Nach dem Mord an seinem langjährigen politischen Weggefährten und Freund begann Jaschin, das von Kadyrow in Tschetschenien geschaffene System zu analysieren. Seinen Bericht „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ stellte der stellvertretende Vorsitzende der Partei Parnas nun im Mauermuseum am Checkpoint Charlie vor. Eingeladen hatten die „Dekabristen“, ein kleiner Verein junger oppositioneller Exil-Russen. Mehr als hundert Menschen kamen, die meisten russische Muttersprachler. Als „Dekabristen“ waren 1825 russische Revolutionäre bekannt geworden, die den Eid auf den Zaren verweigerten.
„Im Nordkaukasus ist ein quasi-unabhängiger islamischer Staat entstanden, der nicht mehr der Kontrolle der russischen Zentralregierung unterliegt“, sagte Jaschin. Von Jahr zu Jahr werde das Regime von Ramsan Kadyrow immer weniger lenkbar durch Moskau. Putin habe dieses Problem selbst geschaffen, sagte Jaschin. So unterstützt Moskau die Kaukasusrepublik, in der es zweimal zum Krieg gegen Russland gekommen war, nach Recherchen der Oppositionellen mit durchschnittlich 59 Milliarden Rubeln im Jahr. Wie die Gelder dann tatsächlich verwendet werden, kontrolliert Moskau nur auf dem Papier. Kadyrow führt ein Leben im Luxus. Nirgendwo in Russland ist Korruption so verbreitet wie in Tschetschenien. Putin hat den 39-jährigen Kadyrow gerade erst vorläufig im Amt bestätigt und seine Aufbauarbeit gelobt.
Kadyrow veröffentlichte Video eines Oppositionellen im Fadenkreuz
Bürgerrechtler machen Kadyrow und die ihm loyal ergebenen Truppen seit Jahren für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Seit dem Mord an Nemzow haben der Republikchef und seine engsten Vertrauten russischen Oppositionellen mehrfach unverhohlen gedroht und sie als „Feinde“ und „Verräter“ bezeichnet. So veröffentlichte Kadyrow auf Instagram ein offenbar in Straßburg aufgenommenes Video, das den früheren Regierungschef Michael Kasjanow und einen anderen Oppositionellen im Fadenkreuz eines Gewehrs zeigt. Er warf ihnen vor, in Straßburg Geld für die Opposition sammeln zu wollen. „Wer nicht verstanden hat, wird verstehen“, schrieb Kadyrow zu dem Video.
In seiner jährlichen Bürgersprechstunde am Donnerstag hatte Putin um Verständnis für Kadyrow geworben. So erinnerte er daran, dass dieser früher auf der Seite der Separatisten gestanden habe. „Wo hat er angefangen? Er hat im Wald gegen uns gekämpft.“ Aber dann sei Kadyrow, ohne dass man ihn gezwungen habe, selbst zu der Überzeugung gelangt, dass Tschetschenien zu Russland gehören solle. Zugleich kritisierte der russische Präsident die Drohungen gegen Oppositionelle indirekt. Die Haltung gegenüber denen, die „mit extremen Methoden“ anderer Meinung seien, trage nicht zur Stabilität bei, mahnte er.
Auch Putin sei sich mittlerweile des Problems bewusst, wisse aber nicht, wie er es lösen solle, glaubt Jaschin. Tschetschenien ist die einzige russische Republik, in der selbst Armeeeinheiten faktisch vom Republikchef kontrolliert werden. Kadyrow verfügt Schätzungen zufolge über bis zu 30.000 Kämpfer, die nicht dem russischen Staat gegenüber loyal sind, sondern nur ihm persönlich.
Was man tun könne gegen die Rechtlosigkeit in Tschetschenien, wollen Zuhörer von Jaschin wissen. Viel zu lange habe die russische Gesellschaft zugesehen und nichts unternommen, sagt der Oppositionspolitiker. „Das Wichtigste, was wir jetzt tun können, ist, die Wahrheit auszusprechen.“ Dass er sich damit auch selbst in Gefahr bringt, weiß der 32-Jährige. Als er seinen Bericht in Moskau vorstellte, versuchte die Polizei die Veranstaltung wegen einer angeblichen Bombendrohung aufzulösen.
"Treue zu europäischen Werten nicht gegen Gasverträge eintauschen"
Welche Unterstützung er sich von Deutschland wünsche, wird Jaschin im Mauermuseum am Ende gefragt. Doch von solcher Hilfe will er nichts wissen: „Ich glaube nicht, dass irgendeine Regierung imstande wäre, die Lage in Russland zu verändern.“ An westliche Politiker habe er nur eine einzige Bitte. „Helft Putin wenigstens nicht!“, mahnt Jaschin. Und er fügt hinzu: „Sie sollten ihre Treue zu europäischen Werten nicht gegen Gasverträge eintauschen.“ Den Namen Gerhard Schröder nennt Jaschin nicht, aber alle im Saal wissen, dass wohl auch der Vertrag des Altkanzlers mit der Pipelinefirma Nord Stream gemeint ist.
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