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Barack Obama hält seine Rede im Museum of the American Revolution in Philadelphia.
© Democratic National Convention/Pool via REUTERS

Noch 76 Tage, um die Demokratie zu retten: Barack Obamas gnadenlose Abrechnung mit Donald Trump

In einer 19-minütigen Rede zum Parteitag der Demokraten nimmt sich Ex-Präsident Obama seinen Nachfolger vor. Trump sei nie in die Rolle des Präsidenten hineingewachsen.

Einen symbolischeren Ort hätte Barack Obama wohl kaum wählen können für seine Rede zum Nominierungsparteitag der US-Demokraten. Im Museum of the American Revolution in Philadelphia, der „Geburtsstadt“ der USA, wo am 4. Juli die Unabhängigkeitserklärung und elf Jahre später die amerikanische Verfassung beschlossen wurde, meldet sich am Mittwochabend (Ortszeit) der einst erste schwarze US-Präsident zu Wort.

„Ich werde heute Abend so klar wie möglich sprechen“, sagt Obama. Denn, was in den nächsten 76 Tagen bis zu Wahl geschehe, werde Auswirkungen auf kommende Generationen haben.

Was er zu sagen hat, löst Erschütterungen selbst im Weißen Haus aus – sein Nachfolger Donald Trump erklärt nach Bekanntwerden einiger vorab verbreiteter Sätze, dass er überhaupt nur Präsident geworden sei, weil Obama und sein Vize Joe Biden so einen schlechten Job gemacht hätten.

Und während Obamas Rede setzt Trump einen wütenden Tweet nach dem anderen ab. Er spürt das Beben.

Obama macht schon mit der Wahl des Ortes klar, dass es aus seiner Sicht bei der Wahl am 3. November ums Ganze geht: um den Fortbestand der Demokratie in Amerika.

Obama: Weitere vier Jahre Trump gefährden Menschenleben

„Diese Regierung hat gezeigt, dass sie unsere Demokratie zerstören wird, wenn das nötig ist, um zu gewinnen“, sagt er dann in seiner Rede. Die Demokratie stehe auf dem Spiel, und die will er verteidigen, mit aller Macht, die ihm als ehemaligem Präsidenten zur Verfügung steht.

Sehen Sie hier Barack Obamas komplette Rede zum demokratischen Parteitag (das Transkript können Sie an dieser Stelle nachlesen):

Weitere vier Jahre Donald Trump, so seine Botschaft, würden das Land, seine Institutionen, aber vor allem auch das Leben vieler Menschen ernsthaft gefährden. Nie zuvor hat sich ein amerikanischer Ex-Präsident so in einen Wahlkampf eingemischt – und sich so eindeutig gegen seinen Nachfolger positioniert, den er für eine komplette, eine gefährliche Fehlbesetzung hält.

Wie er da redet vor einer Wand, auf der „Writing the Constitution“ (die Verfassung entwerfen) steht, es ist ein wahrhaft historischer Moment. Diese Rede, seine Bereitschaft, sich voll und ganz für seinen einstigen Vize Joe Biden in diese Schlacht zu stürzen, könnte eine seiner wichtigsten politischen Handlungen werden.

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Dass der begnadete Redner sie so unheimlich ruhig-freundlich und gleichzeitig so entschieden und – für ihn überraschend: sehr emotional - hält, verstärkt die Wucht seines Angriffs.

„Donald Trump ist nicht in den Job hineingewachsen“

Er habe „zum Wohle des Landes“ gehofft, dass Donald Trump versuchen würde, seine Aufgabe ernstzunehmen – „dass er das Gewicht dieses Amtes spüren und etwas Ehrfurcht vor der Demokratie entdecken würde, die ihm anvertraut wurde. Aber das hat er nie getan“, sagt Obama. „Donald Trump ist nicht in den Job hineingewachsen, weil er es nicht kann. Und die Folgen dieses Versagens wiegen schwer.“

Vernichtend sein Urteil über die Bilanz von knapp vier Jahren Trump: Der habe die Macht seines Amtes lediglich dafür genutzt, sich selbst und seinen Freunden zu helfen. Die Präsidentschaft habe er behandelt wie „eine weitere Reality-Show, mit der er die Aufmerksamkeit bekommen kann, nach der er sich sehnt“. Er habe keinerlei Interesse daran gezeigt, die Menschen zusammenzubringen.

Unter Trump, fährt Obama fort, seien während der Corona-Pandemie nicht nur 170.000 Amerikaner gestorben, sondern auch Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen. Unter Trump hätten die USA in der Welt an Ansehen verloren.

Obama lobt Biden

Da spricht einer, der in seinen acht Jahren Amtszeit viel Wert darauf gelegt hat, dass sein Land und er selbst international angesehen sind. Daher müssten die Amerikaner bei der Wahl am 3. November dafür sorgen, „dass die Grundprinzipien unserer Demokratie fortbestehen“.

Lange hat Obama gezögert, Trump direkt zu kritisieren. Dabei scheint der 45. Präsident oft kein anderes Ziel zu kennen, als seinen Vorgänger schlechtzureden und dessen Erbe zu zerstören, indem er seine Entscheidungen rückgängig macht. Nun sagt Obama: „Dies sind keine normalen Zeiten.“

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Dann erzählt er von seinem „Freund“ Joe Biden, der ihm acht Jahre lang als Vize diente. Der sei ein Mann voller Empathie und Anstand, der fest davon überzeugt sei, dass jeder Mensch zähle. „Joe“ habe ihn zu einem besseren Präsidenten gemacht – „und er hat den Charakter und die Erfahrung, um uns zu einem besseren Land zu machen“.

Mit Kamala Harris habe er überdies eine „ideale Partnerin“ ausgewählt, die wisse, was es bedeute, Hindernisse zu überwinden. Gemeinsam würden sie ihre Vision von einem besseren, einem faireren und einem stärkeren Amerika umsetzen.

Die wichtigste Rede ihres Lebens

Die kalifornische Senatorin Harris, die zuvor offiziell als Vizekandidatin der Demokratischen Partei nominiert worden ist, muss direkt danach zeigen, dass sie von Obama nicht überstrahlt wird.

Das gelingt ihr schon alleine deshalb, weil ihr die tiefe Freude über ihre Nominierung so ungemein anzumerken ist. Auch die ist historisch. Die 55-Jährige ist die erste Afroamerikanerin und die erste asiatisch-stämmige Frau in dieser Rolle. Würde sie gewählt, wäre sie überhaupt die erste Frau in diesem Amt.

Kamala Harris ist sich bewusst, was ihre Nominierung für viele „Women of Color“ in Amerika bedeutet. Ihre Stimme ist warm und eindringlich, kraftvoll ihre Rede, die wohl wichtigste ihres Lebens – und das ausgerechnet bei einem fast rein virtuellen Parteitag.

[Mehr zum Thema: Nicht-weiß, weiblich, machtbewusst - Kamala Harris verkörpert die nächste politische Generation]

Harris spricht in Joe Bidens Heimatort Wilmington (Delaware), wo der auch vor einer Woche verkündet hat, dass sie an seiner Seite stehen soll. Die Abwesenheit jubelnder Parteifreunde scheint sie nicht zu stören: Sie kann gar nicht aufhören zu lächeln. Und ihre Rede ist voller Optimismus und Vorfreude auf die neue Aufgabe.

Sehen Sie hier die komplette Rede von Kamala Harris zum demokratischen Parteitag:

Biden und sie teilten die Vision eines Landes, sagt Harris, in dem alle willkommen seien, in dem es keinen Unterschied mache, wie man aussehe, woher man komme oder wen man liebe.

„Ein Land, in dem wir nicht in jedem Detail einer Meinung sein mögen, aber wir in der grundlegenden Überzeugung vereint sind, dass jeder Mensch von unendlichem Wert ist und Mitgefühl, Würde und Respekt verdient.“ Das heutige Amerika sei davon allerdings weit entfernt.

Auch Harris sagt: „Donald Trumps Führungsversagen hat Leben und Existenzen gekostet“

Auch sie kritisiert den Präsidenten scharf, dem sie vorwirft, Tragödien in politische Waffen zu verwandeln.

„Donald Trumps Führungsversagen hat Leben und Existenzen gekostet“, sagt Harris. „Wir sind an einem Wendepunkt angelangt. Das ständige Chaos macht uns hilflos. Die Inkompetenz macht uns Angst.“ Die Corona-Pandemie treffe besonders Angehörige von Minderheiten hart.

[Mehr zum Thema: Parteitag der US-Demokraten – wie Joe Biden die Sehnsüchte der Amerikaner bedient]

„Das ist kein Zufall. Das ist die Folge von strukturellem Rassismus.“ Sie fügt hinzu: „Es gibt keinen Impfstoff gegen Rassismus. Wir müssen die Arbeit machen.“

Dazu müssten die Amerikaner einen Präsidenten wählen, „der etwas anderes, etwas Besseres bringt“. „Einen Präsidenten, der uns alle - Schwarze, Weiße, Latinos, Asiaten, Indigene - zusammenbringt, um die Zukunft zu erreichen, die wir uns gemeinsam wünschen.“

Biden sei dieser Mann, er werde alle zusammenbringen. „Lasst uns mit Hoffnung kämpfen.“

Ähnlich wie Obama und Harris hat sich zuvor auch Hillary Clinton geäußert: Amerika brauche einen Präsidenten in dieser schwierigen Zeit, der im Weißen Haus Mitgefühl, Entschlossenheit und Führungsstärke zeige, sagt die frühere Außenministerin, Senatorin und First Lady, die 2016 gegen Trump verloren hatte.

Sie wünschte, Trump wüsste, wie man sich als Präsident zu verhalten habe. Nach ihrer Niederlage, so sagt die 72-Jährige, habe sie ihm eine echte Chance gegeben, sich im Amt zu bewähren. „Trump fragte 2016: Was habt ihr zu verlieren? Heute wissen wir: unser Gesundheitssystem, unsere Jobs, unsere Lieben, unsere Führungsrolle in der Welt – und sogar unsere Post.“

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels wurde eine paraphrasierende Beschreibung im Text in der Überschrift als Zitat wiedergegeben. Das Zitat gab allerdings nicht den Wortlaut von Obamas Rede wider. Wir haben das korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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