zum Hauptinhalt
Häftlinge in Guantanamo: Systematische Folter brachte das Lager in Verruf.
© dpa

Guantanamo: Barack Obama startet neuen Anlauf zur Schließung des Gefangenenlagers

US-Präsident Barack Obama will das berüchtigte Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba doch noch schließen. Wie soll das gelingen?

Guantanamo gilt als Symbol dafür, dass die USA die von ihnen selbst propagierten Werte wie Rechtsstaatlichkeit mit den Füßen treten. Zuletzt war es aber still um das berühmte Gefangenenlager geworden. Doch am Mittwoch erklärte das Weiße Haus, der neue Plan zur Schließung von Guantanamo Bay sei fast fertig. Die Arbeiten an dem Entwurf befänden sich in der „Endphase“, sagte US-Präsidentensprecher Josh Earnest.

Das Versprechen, Guantanamo zu schließen, gehört für US-Präsident Barack Obama zu den in der Sache wie der Symbolik großen politischen Projekten, die er in der Geschichtsschreibung mit seinem Namen verbunden sehen möchte – wie auch die Gesundheitsreform, die Verringerung der strategischen Nuklearwaffen und der Atomdeal mit dem Iran sowie die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit Kuba nach mehr als 50 Jahren.

Wie gestaltet sich der neue Anlauf zur Schließung Guantanamos?

Am 6. Juli hat der neue Beauftragte für die Schließung Guantanamos, Lee Wolosky, seine Arbeit im US-Außenministerium aufgenommen. Wolosky war unter den Präsidenten Bill Clinton und George W. Bush bereits Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats und gilt als hocheffektiv. Die Stelle des Beauftragten war zuletzt nicht besetzt. Vergangene Woche dann trommelte die Sicherheitsberaterin von Barack Obama, Susan Rice, eine Besprechung auf Kabinettsebene zusammen.

Am Mittwoch erst hatte die „New York Times“ berichtet, auch dieser Anlauf stehe vor dem Scheitern. Der neue Verteidigungsminister Ashton Carter folge dem Pfad seines Vorgängers Chuck Hagel und verzögere den Transfer von Gefangenen in andere Länder. Ohne diesen Transfer gibt es aber keine Schließung. Das erklärt Woloskys Engagement: Er soll den diplomatischen Bemühungen neuen Schwung verleihen.

Was genau wurde am Mittwoch vom Weißen Haus angekündigt?

Josh Earnest, Obamas Sprecher, sagte, ein Plan, das Lager „sicher und verantwortungsvoll“ zu schließen, sei in der letzten Phase seiner Fertigstellung. Diesen werde man dann dem Kongress – wie mit dem Senat besprochen – vorlegen. Die Sicherheitsexperten arbeiteten daran schon länger, es sei eine Priorität für den Präsidenten. Der Transfer von Gefangenen in andere Länder müsse weitergehen, was „selbstverständlich eine Sicherheitsprüfung des Verteidigungsministers verlange“.

Was sagen Republikaner und Demokraten?

Das Weiße Haus macht ganz klar: Sowohl bei den Republikanern als auch aufseiten der Demokraten behindern Kongressmitglieder die Bemühungen. Im Repräsentantenhaus wie auch im Senat gibt es Initiativen, den Transfer von Gefangenen aus Guantanamo sogar noch restriktiveren Bedingungen zu unterwerfen. Die Ausschüsse beider Häuser koordinieren derzeit ihre Vorlagen. Präsident Obama hat jedoch bereits angekündigt, gegen Gesetze, die die Schließung des Lagers verhindern sollen, sein Veto einzulegen. John McCain, einflussreicher Senator aus Arizona, hat zudem einen Plan aus dem Weißen Haus zur Voraussetzung dafür gemacht, dass als weniger gefährlich eingeschätzte Gefangene auch in Gefängnisse innerhalb der USA gebracht werden können. Der republikanische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, John Boehner, verwies auf frühere Umfragen, denen zufolge die meisten Amerikaner gegen die Schließung Guantanamos seien. Boehner bekräftigte auch seine Kritik am „Erbe der Gesetzlosigkeit“, das die scheidende Regierung Obama hinterlasse. Trotz offensichtlicher Meinungsverschiedenheiten spielte Guantanamo im US-Vorwahlkampf bislang keine Rolle.

Welche Staaten haben bisher Häftlinge aufgenommen?

In mehreren Fällen sind die zur Freilassung vorgesehenen Gefangenen in ihre Heimatländer zurückgekehrt: Ägypten, Algerien, Sudan, Saudi-Arabien. Bei einer Vielzahl ging das jedoch nicht, weil ihnen zu Hause entweder politische Verfolgung gedroht hätte, wie zum Beispiel den muslimischen Uiguren in China, oder weil befürchtet wurde, dass sie erneut den Kampf mit der Waffe aufnehmen, zum Beispiel im Bürgerkrieg im Jemen, oder sich gar Terrorgruppen anschließen.

Für die zur Freilassung vorgesehenen Gefangenen, die nicht in ihre Heimatstaaten zurückkönnen, suchten die USA aufnahmewillige Drittländer. Diese Bemühungen, mit denen über viele Jahre der US-Diplomat Dan Fried betraut war, litten jedoch unter der Weigerung des Kongresses, als ungefährlich eingestufte Ex-Häftlinge in die USA einreisen zu lassen. Insbesondere in den Jahren 2010 und 2014 nahmen zahlreiche Verbündete Guantanamo-Insassen auf, um Obamas wiederholte Initiativen zur Schließung des Lagers zu unterstützen. Darunter sind die Mehrzahl der EU-Staaten, die Schweiz, Albanien, aber auch Kasachstan, Kolumbien und Uruguay sowie der Südsee-Inselstaat Palau, der 17 der insgesamt 22 in Guantanamo inhaftierten Uiguren einreisen ließ. Deutschland akzeptierte 2010 einen staatenlosen Palästinenser und einen Syrer – der eine kam im SPD-regierten Rheinland-Pfalz unter, der andere im damals CDU-regierten Hamburg – und hat sich bereit erklärt, die Aufnahme eines Marokkaners zu prüfen. Ein Sonderfall war die Übergabe von fünf afghanischen Taliban an Katar 2014; im Gegenzug ließen die Taliban einen fünf Jahre zuvor entführten US-Soldaten frei.

Wie viele Häftlinge gibt es noch und was geschieht mit ihnen?

Barack Obama hat die Zahl der Insassen kontinuierlich reduziert, von 240 bei seinem Amtsantritt 2009 auf heute 116, wie sein Sprecher Josh Earnest am Mittwoch in Washington sagte. Nach Medienberichten sind davon 45 zur Entlassung vorgesehen, 71 nicht. Von den 71 sind zehn bereits angeklagt, gegen 23 weitere wird die Anklage vorbereitet. 38 warten auf erneute Haftprüfungstermine. Für die Strafprozesse hat Obama Gerichtsgebäude in Guantanamo errichten lassen, nachdem der Kongress es verboten hatte, Häftlinge zu Strafprozessen auf das US-Festland zu bringen.

Wie verliefen bislang die Bemühungen, das Lager zu schließen – unter George W. Bush und Barack Obama?

Schon Bush hatte es als Ziel ausgegeben, Guantanamo zu schließen. Das wirkte aber wie ein Lippenbekenntnis, da er wenig dafür tat. Er hatte das Lager im Frühjahr 2002 nach dem Schock von 9/11 einrichten lassen, um Terrorverdächtige, die im Krieg in Afghanistan aufgegriffen wurden, fern der Schlachtfelder verhören zu lassen, um potenzielle weitere Terrorpläne zu erfahren. Schon nach kurzer Zeit reichten US-Anwaltskanzleien und amerikanische Menschenrechtsorganisationen wie die ACLU Klagen gegen den Präsidenten ein, weil die Haftbedingungen und der Entzug von Grundrechten aus ihrer Sicht gegen das Recht verstießen. Die Regierung Bush verlor etwa die Hälfte dieser Verfahren. Über die Jahre waren 779 Menschen in Guantanamo inhaftiert, aber nicht gleichzeitig. Bushs Rhetorik und Handeln lagen im Widerspruch. Er behauptete, wer dort gefangen sei, gehöre zu den „Gefährlichsten der Gefährlichen“. In der zweiten Amtszeit entließ aber bereits er mehr als zwei Drittel der Insassen. Es gab offenbar keine Beweise für ihre behauptete Verwicklung in Terroranschläge.

Obama ordnete an seinem ersten Amtstag 2009 an, die Schließung des Lagers vorzubereiten und die Haftgründe für jeden der 240 verbliebenen Gefangenen zu überprüfen. Obwohl seine Demokratische Partei eine klare Mehrheit im Kongress hatte, ließ sie ihn im Stich – aus Furcht vor den Wählern und der Kritik der Republikaner. 2009 und 2010 hatte es neue Anschläge gegeben, darunter den „Unterhosenbomber“ in einem US-Flugzeug von Amsterdam nach Detroit und eine Autobombe am Times Square in New York. Es war reines Glück, dass die Zünder versagten. Da wollten die Abgeordneten sich nicht vorwerfen lassen, sie seien „weich gegenüber Terroristen“. Von den rund 540 Entlassenen hatten bis dahin 42 den Kampf gegen Amerika erneut aufgenommen. Der Kongress verweigerte Obama das Geld für ein Ersatzgefängnis in den USA, in Thomson, Illinois, und verbot ihm, Guantanamo-Gefangene ohne Erlaubnis des Parlaments in die USA bringen zu lassen.

Barbara Junge, Christoph von Marschall

Zur Startseite