Drohnen in Europa: Bambi retten, Flüchtlinge jagen
Auf der grünen Wiese bei Siegen demonstriert Herr Prinz, wie rasant eine Drohne fliegen kann. In Zukunft sollen die Geräte aber nicht schneller, sondern vor allem selbstständiger sein. Und bei Bedarf auch mal eingreifen.
Herr Prinz, früher Fallschirmjäger, heute Drohnenpilot, steuert seinen Jeep bergauf, vorbei an den gepflegten Vororthäusern, an einer Alpakafarm und schließlich links auf einen Feldweg. Prinz, ein großer, kräftiger Mann mit kurz geschorenen Haaren, lenkt den Wagen umsichtig über die Schlaglöcher – schließlich sitzt im Kofferraum eine Md4 1000 und wackelt auf ihren filigranen Kufen aus Karbon. Das Fluggerät hat mit ausgeklappten Rotorarmen eine Spannweite von etwa einem Meter und sieht mit seiner runden, weißen Kappe aus wie ein fliegender R2D2. Es wiegt allerdings nur 1,2 Kilogramm. Prinz ist Cheftestpilot und Marketingbeauftragter der Microdrones GmbH, eines mittelständischen Unternehmens mit 20 Mitarbeitern, das in Siegen Drohnen vor allem für staatliche Stellen herstellt. Er sagt, bei seinem ersten Testflug mit der Md4 1000 habe er die ganze Zeit nur daran gedacht, dass er gerade über 40 000 Euro durch die Luft steuert. Jetzt, nach gut einem Jahr im Unternehmen, ist das besser geworden.
Die Drohne ist eine "Plattform" - welche Kamera, welchen Sensor sie trägt, entscheidet der Kunde
Prinz parkt neben einem weißen Kombi auf einem Flecken gemähter Wiese. Aus dem anderen Wagen klettert sein Kollege mit drei Kaufinteressenten, Amerikaner in Jeans und blauen Jacketts. Sie kommen aus Chicago und aus Texas, warum sie Interesse an der Drohne haben, ob sie für Unternehmen oder öffentliche Stellen arbeiten, wollen sie nicht sagen. Das sei die erste Drohne überhaupt, die er sehe, behauptet der glatzköpfige Texaner.
Prinz errichtet einen weißen Campingtisch und baut einen geländegängigen Laptop auf – die Bodenstation. Dann skalpiert er das Gerät mit einer geübten Drehung und setzt den Akku ein. Damit könnte Md4 1000 nun bis zu 88 Stunden fliegen. Herr Knochen, Prinz’ Kollege, hat sich schon die Fernbedienung umgehängt, die aussieht wie die eines ferngesteuerten Autos für Kinder. Er schiebt den F-Regler nach oben, die Rotoren sirren, der hintere Rotor gibt Gas und schon ist der Flugroboter in der Luft. Da gondelt er im Wind, etwa 20 Meter über der Gruppe. Prinz versammelt die Gruppe nun um den Bildschirm. Im mittleren Teil der Cockpitsoftware wird das Video gezeigt, das die Drohne liefert. Die Amerikaner sehen: sich selbst und die beiden Autos. „Das Nummernschild könnten sie vielleicht nicht erkennen, aber sicher den Wagentyp, wir können uns die Bilder nachher noch einmal genauer ansehen“, sagt Herr Knochen.
Die Drohnen liefern Bilder an eine automatische Bilderkennungssoftware
Der Md4 1000 hängt bei dieser Demonstration eine handelsübliche Videokamera von Olympus unter. Wenn Branchenexperten von „Drohnen“ sprechen, sprechen sie auch gern von „der Plattform“. Das Fluggerät selbst ist nur der Träger, dem eine beliebige Nutzlast untergehängt werden kann. Viele Anwender ziviler Drohnen würden sich nicht mit der kleinen Olympus begnügen. Im Rahmen von „Eurosur“ etwa, einem Großprojekt zur besseren Überwachung der EU-Außengrenzen, das noch in diesem Jahr starten soll, sollen Drohnen mit hochauflösenden Kameras ausgerüstet werden, um aus großer Flughöhe Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer zu entdecken, und, wie es in einer Projektbeschreibung heißt, „Situationen“, die auf die Vorbereitung einer Flucht hinweisen könnten, zum Beispiel Zelte oder Fahrzeuge an den Stränden der Herkunftsländer. Die EU-Kommission betont stets, dass personenbezogene Daten nur selten erhoben oder verarbeitet würden – allerdings ist ein effizienter Einsatz der Drohnen bei händischer Bildauswertung durch Grenzschützer kaum denkbar. So ist in einer Projektbeschreibung auch die Rede davon, Fluggeräte zur „Erfassung, Klassifizierung und Identifizierung“ von Schiffen einzusetzen. Wahrscheinlich ist, dass die Bilder der Kameras mit Bilderkennungssoftware gekoppelt werden – Software, die „verdächtige“ Ereignisse „erkennen“ kann. An derartiger Software wird ebenfalls in EU-Projekten gearbeitet.
Auf der grünen Wiese bei Siegen bemüht sich nun wieder Herr Knochen um die Aufmerksamkeit seiner Interessenten. „I’m in ’position hold’ now“, erklärt er. Der Roboter von Microdrones kann verschiedene Programme fliegen. Bei „position hold“ hält er die Stellung. Nun legt Knochen einen Schalter um, das Gerät vollzieht eine scharfe Rechtskurve, rast am Waldrand entlang und ist binnen eines Blinzelns nur noch eine Fliege am blau-grauen Himmel. „Wow!“, sagt der Texaner. Das war der Pilotenmodus. Die Drohne kann aber auch selbstständig einen einprogrammierten Kurs fliegen: Microdrones hat eine Md4 1000 gerade zu Marketingzwecken von Hospental nach Arolo fliegen lassen – einmal über die Alpen.
Sie können auch im Schwarm fliegen
Daran, dass die Fluggeräte immer selbstständiger werden, wird nicht nur bei Microdrones gearbeitet. In Europa werden hunderte Millionen in die Automatisierung investiert. Ein Projekt, bei dem auch Microdrones Partner war, ist „Airshield“, es lief von 2009 bis 2011. Das Einsatzszenario war ein Großbrand, bei dem sich eine giftige Wolke entwickelt. Das Ziel: Den Flugrobotern beizubringen, autonom im Schwarm zu fliegen und der Wolke zu folgen. Gleichzeitig wurde ein neuer, besonders leichter Sensor erprobt, der verschiedene gefährliche Stoffe in der Luft messen kann, etwa Salzsäuredämpfe und Kohlenmonoxid. Getestet wurde das System 2011 im Hafen von Rotterdam, erzählt Hauke Speth, Leiter des Dortmunder Instituts für Feuerwehr- und Rettungstechnologie, am Telefon, auf einem Gelände zur Brandausbildung. „Da kann man mal ein etwas größeres Feuerchen machen.“ Die Daten, die die Sensoren der Flugroboter während des Fluges übertrugen, waren mit der Steuerung der Drohne gekoppelt, so dass der Schwarm das Kerngebiet der Kontamination ermitteln konnte. Der Test sei erfolgreich gewesen, sagt Speth. Ein Nachfolgeprojekt läuft bereits.
Vom Überwachen zum Eingreifen: Das Grenzsicherungsprojekt "Eurosur"
Auch Sicherheitsbehörden setzen auf den autonomen Flugroboter der Zukunft – und der könnte deutlich größer sein als das wendige Modell von Microdrones. Der „Barracuda“ der EADS-Tochter Cassidian zum Beispiel misst acht Meter Länge und sieben Meter Flügelspannweite. Wie der „Behörden-Spiegel“ kürzlich berichtete (zum Pdf), wird er dazu eingesetzt, jene Systeme zu erproben, die den Flugrobotern bisher noch fehlen, um sie im kontrollierten zivilen Luftraum sicher und selbstständig fliegen zu lassen. Die Roboter müssen lernen, andere Flugobjekte zu erkennen und auszuweichen – in der Fachsprache heißt das „Sense-and-avoid-Technik“. Der Baracuda erprobt aber auch konkrete Flugszenarien: zum Beispiel die Verfolgung von beweglichen Zielen.
Das ist der nächste Schritt: Wenn sie selbstständig fliegen können, sollen Drohnen auch aktiv eingreifen – oder das Eingreifen von anderen am Boden koordinieren. Im EU-Projekt „Talos“ etwa, einem Teil von „Eurosur“, wurden Roboter entwickelt, die „fast autonom Maßnahmen zur Verhinderung illegaler Aktionen“ einleiten, wie es in einer Projektbeschreibung heißt. Bei Talos arbeiten Flugroboter, Bodenroboter und menschliche Grenzkontrolleure zusammen. Die Drohne überfliegt das Gebiet, eine Software entdeckt „verdächtige“ Ereignisse und meldet sie dem Grenzer, der entscheidet, ob eingegriffen werden soll. Dann soll der Bodenroboter „Interceptor“ eigenständig den Menschen, der illegal die Grenze übertreten will, stoppen.
Dass vielen bei solchen Szenarien mulmig wird, weiß Herr Prinz von Microdrones genau. Er erzählt lieber, wie er dem Förster einmal geholfen hat, ein Feld, das gemäht werden sollte, mit einer Wärmebildkamera nach Rehkitzen abzusuchen, damit sie nicht von der Mähmaschine erfasst werden.
Anna Sauerbrey
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