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Sigmar Gabriel und Wolfgang Schäuble.
© Kappeler/dpa
Update

Koalition vor der Entscheidung: Bald deutlich höheres Kindergeld?

Die Bundesregierung muss handeln: Steuerliche Grundfreibeträge werden steigen und damit auch das Kindergeld. Die SPD erwartet eine spürbare Erhöhung. Auch die kalte Progression soll abgebaut werden.

Steuerzahler können sich auf geringe Erleichterungen, Eltern auf eine höhere Kinderförderung einstellen. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett den Existenzminimumbericht von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gebilligt. Demnach ist der steuerliche Grundfreibetrag zu gering und muss erhöht werden. Die regelmäßige Anpassung hat das Bundesverfassungsgericht verlangt. Nach Schäubles Erhebung ist der Grundfreibetrag für Erwachsene in diesem Jahr 118 Euro zu niedrig, im kommenden Jahr sind es sogar 298 Euro. Damit wird es zu einer moderaten Steuererleichterung kommen.

Parallel zum Grundfreibetrag muss auch der Kinderfreibetrag angehoben werden und damit auch das Kindergeld. Laut Schäubles Bericht beträgt die „Unterdeckung“ beim Kinderfreibetrag in diesem Jahr 144 Euro, 2016 werden es 240 Euro sein. Daraus ergäbe sich rechnerisch eine Kindergelderhöhung von 48 Euro in diesem Jahr und von weiteren 32 Euro im kommenden Jahr. Die Regierung will die Anhebungen beim Kinderfreibetrag zügig angehen, bis Ende März sollen die Abstimmungen zwischen Finanz- und Familienministerium beendet sein. Sie dürften dann rückwirkend ab 1. Januar gelten.

 Zehn Euro mehr pro Kind?

Wie stark das Kindergeld demnächst tatsächlich erhöht wird, ist aber noch nicht klar. Die SPD fordert jedoch eine nennenswerte Steigerung. Die staatliche Leistung könnte in diesem und im kommenden Jahr um je zehn Euro im Monat erhöht werden, wenn es Spielraum dafür gebe, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin Christine Lambrecht. Zehn Euro sollten nicht unterschritten werden. Die rechnerisch gebotene Anhebung um vier Euro in diesem Jahr hält man in der SPD für deutlich zu wenig. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Carola Reimann fordert eine spürbare Anhebung. „Finanzminister Wolfgang Schäuble hat Spielräume im Haushalt. Die müssen jetzt den Familien zugute kommen“, sagte sie dem Tagesspiegel. Nur ein Viertel der Familien profitierten vom Kinderfreibetrag, für die meisten Familien sei die Höhe des Kindergelds entscheidend. Die SPD setzt sich in den koalitionsinternen Verhandlungen außerdem dafür ein, dass der Entlastungsfreibetrag für Alleinerziehende angehoben wird. Seit der Einführung im Jahr 2005 sei dieser nicht angepasst worden, eine Anhebung sei daher überfällig, sagte Reimann. Darüber hinaus solle der Kinderzuschlag verbessert werden. Dieser soll dafür sorgen, dass Familien nicht wegen ihrer Kinder auf Hartz IV angewiesen sind. „Wir müssen darauf achten, dass die Schere zwischen armen und reichen Familien nicht weiter aufgeht“, sagte Reimann.

Mitentscheiden dürften hier jedoch auch die Haushaltspolitiker. Denn jeder Euro mehr im Monat bedeutet eine Kostensteigerung beim Kindergeld von mehr als 200 Millionen Euro für den Bundesetat im Jahr. Bei zehn Euro wären es somit etwa 2,1 Milliarden Euro mehr allein in diesem Jahr. Zwar ergeben sich durch die stetig sinkenden Zinslasten, einen möglicherweise höheren Bundesbankgewinn durch das Anleihenkaufprogramm der EZB und die wieder etwas anziehende Konjunktur (wegen der damit einhergehenden  Steuermehreinnahmen) Spielräume für höhere Ausgaben. Doch die könnten auch von den Wirtschaftspolitikern für stärkere Investitionen reklamiert werden.

 Auch kalte Progression auf dem Programm

Zudem könnte sich Schwarz-Rot demnächst darauf verständigen, auch die kalte Progression abzumildern. Das geht sowohl aus dem Jahreswirtschaftsbericht hervor, den Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) am Mittwoch vorlegte, als auch aus dem erstmaligen „Bericht über die Wirkung der kalten Progression“, den Schäuble im Kabinett vorstellte. Dort heißt es zwar, die Auswirkungen für die Jahre 2015 und 2016 seien schwer zu prognostizieren. Doch geht das Finanzministerium anhand verschiedener Szenarien davon aus, dass bei einer Inflationsrate zwischen einem und zwei Prozent der Effekt der kalten Progression zwischen 0,8 und drei Milliarden Euro liegt. Pro Steuerzahler bedeutet das in diesem Jahr im Schnitt eine Belastung zwischen 17 und 73 Euro, die auszugleichen wäre, wenn die Regierung einen kompletten Inflationsausgleich angeht. 2016 wären es je nach Teuerung zwischen 20 und 78 Euro. Die Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags wäre schon der erste Schritt in diese Richtung. Schäuble sagte, der Abbau der kalten Progression ab 2017 "ist und bleibt aus steuersystematischen Gründen ein wichtiges Anliegen“. Der Chef der Mittelstandsvereinigung der CDU, Carsten Linnemann, fordert jedoch ein schnelleres Vorgehen. „Es ist das Gebot der Stunde, die Bürger so rasch wie möglich von den heimlichen Steuererhöhungen zu befreien“, sagte er der „Rheinischen Post“. Daher „sollte ein Einstieg in den Abbau nicht erst 2017 erfolgen, sondern bereits 2016“.

Bund der Steuerzahler: Irreführende Rechnung

Der Bund der Steuerzahler kritisierte Schäubles Berechnungen als irreführend. Denn das Finanzministerium berücksichtige nur die Inflationseffekte von Jahr zu Jahr. Doch sei es gerade die Dynamik der  jährlich weiter steigenden Preise, die eine regelmäßige Tarifanpassung erforderlich mache. Daher müsse vom Jahr 2010 her gerechnet werden, als der Einkommensteuertarif letztmals durchgehend reformiert worden sei. Dann würde die diesjährige Belastung eines durchschnittlichen Steuerzahlers nicht bei 17 Euro liegen, sondern bei rund 200 Euro.

Unter kalter Progression versteht man den Effekt einer steuerlichen Höherbelastung, wenn Steuerzahler gar keine Einkommenserhöhungen haben oder eine Gehaltserhöhung nur bis zur Höhe der Inflationsrate gezahlt wird.  Damit erhöht sich das Realeinkommen nicht, die Kaufkraft stagniert also oder sinkt – doch die Besteuerung wird dem nicht angepasst. Wer einen Einkommensausgleich über der Inflationsrate bekommt, wird dagegen von der kalten Progression nicht betroffen, seine steuerliche Leistungsfähigkeit ist gestiegen. Wegen der geringen Inflation und der Anhebungen des Grundfreibetrags war der Effekt der kalten Progression laut Schäubles Bericht 2013 relativ gering und 2014 praktisch bei null.

 Grüne kritisieren

Die Grünen kritisieren, dass die Regierung die Kinderfreibeträge und auch das Kindergeld erst ab Januar 2015 erhöhen will. Der Freibetrag sei schon seit Anfang 2014 um 72 Euro zu niedrig, rechnet die Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus vor. Er sei damit verfassungswidrig. „Mit einer Erhöhung nur für 2015 ist es deshalb nicht getan“, sagte sie dem Tagesspiegel. Zudem müsse das Kindergeld bald steigen. „Es kann nicht sein, dass Schäubles schwarze Null auf Kosten der Familien erkauft wird.“

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